"Im Dunkeln spielen": Essayband über Rassismus in der Literatur
Lange standen Toni Morrisons Essays im Schatten von ihren Romanen. Nun hat der Rowohlt Verlag den Band "Im Dunkeln spielen" neu aufgelegt. Morrison zeigt in ihren Essays, wie groß die Diskriminierung in Klassikern der modernen Literatur ist.
Ernest Hemingways "Der alte Mann und das Meer" ist einer der bekanntesten Romane der US-amerikanischen Literatur. Gleich zu Beginn beschreibt Hemingway seinen Protagonisten in wenigen Worten: "Er war ein alter Mann, der allein in einem kleinen Boot im Golfstrom fischte. Und er war jetzt 84 Tage hintereinander hinausgefahren, ohne einen Fisch zu fangen."
Was Hemingway nicht erwähnt, ist die Hautfarbe des Mannes. Ein Detail, was ihm nicht weiter wichtig schien. Denn Protagonisten in amerikanischen Romanen waren - falls nicht ausdrücklich anders erwähnt - selbstverständlich weiß, schreibt Toni Morrison. Geschichten von Weißen, geschrieben für eine weiße Leserschaft.
Mein Interesse an Ernest Hemingway wird noch größer, wenn ich bedenke, wie weit entfernt von allen Afroamerikaner*innen sein Werk angesiedelt ist. Womit ich sagen will, dass er weder ein Bedürfnis noch ein Verlangen nach ihnen hat, noch auch nur ein Bewusstsein von ihnen, sei es als Lesenden seiner Werke, sei es als Menschen, die überall existieren außer in seiner imaginativen Welt. Leseprobe
Eine Analyse der amerikanischen Literatur
Wenn, wie in Hemingways Roman "Haben und Nichthaben" dennoch Schwarze Personen vorkommen, dann zumeist als Kulisse, als Abgrenzung gegenüber den Weißen, so Morrison. Eine Methode, die sie in vielen amerikanischen Romanen wiedergefunden hat. Und der sie in den drei Vorlesungen, die sie 1992 an der Harvard University gehalten hat, auf den Grund zu gehen versucht.
Ich fing an wahrzunehmen, wie die Literatur, die von mir verehrte und die von mir verabscheute, sich bei ihrer Begegnung mit Rassenideologien verhielt. Die amerikanische Literatur konnte es gar nicht verhindern, dass sie von dieser Begegnung geprägt wurde. Ja, ich wollte die Momente identifizieren, in denen die amerikanische Literatur Komplizin bei der Fabrikation von Rassismus war, aber genauso wichtig schien mir, zu sehen, wann die Literatur explodierte und den Rassismus unterminierte. Leseprobe
Zum Beispiel im Roman "Sapphira und die Sklavin" von Willa Cather, ein in Deutschland wenig bekanntes Buch, in dem Cather im Jahr 1940 versucht, das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Sklavin und Herrin zu beschreiben - und nur in wenigen, dafür umso revolutionäreren Sätzen der Sklavin eigene Gefühle zugesteht. Oder in Mark Twains Abenteuern von Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Der Schwarze Sklave Jim, ein kluger, gebildeter Mann, wird hier dennoch zur Projektion des Anderen. Die Unterscheidung von Schwarz und Weiß zum Selbstverständnis des neuen, freien Amerikas.
Die Versklavung Schwarzer Körper bereicherte die kreativen Möglichkeiten des Landes. Denn in jener Konstruktion von Schwarzsein und Versklavung ließ sich nicht nur das Nicht-frei-Sein finden, sondern auch, in der dramatischen Polarität, die durch die Hautfarbe entsteht, die Projektion des Nicht-Ichs. Leseprobe
Toni Morrisons Kampf für diskriminierungsfreie Sprache
Beeindruckend klar zeigt Morrison auf, wie groß die Rolle dabei ist, die die Sprache spielt - und zwar bis heute. Erst in den vergangenen Jahren, lange nach dem Erscheinen der Texte Morrisons, hat eine ernsthafte Diskussion über diskriminierungsfreie Sprache begonnen. Die Grundlage dafür liefert Morrison hier aber bereits und beweist damit, wie wichtig dieser Diskurs ist. Das machte sie auch bereits in ihrer Dankesrede bei der Verleihung des Literaturnobelpreises deutlich: Unterdrückersprache repräsentiere nicht nur Gewalt, sie ist Gewalt, sagte sie damals. Sexistische und rassistische Sprache wollten weder neues Wissen zulassen noch den Austausch von Ideen fördern.
Gesellschaft aber lebt von dem Austausch von Ideen. Und welches bessere Mittel könnte es dafür geben als die Literatur? Diese mit anderen, kritischeren Augen zu lesen, dazu ist dieser Essayband eine wunderbare Einladung.
Im Dunkeln spielen. Weiße Perspektiven und literarische Imagination
- Seitenzahl:
- 144 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Barbara von Bechtolsheim und Helga Pfetsch
- Verlag:
- Rowohlt
- Bestellnummer:
- 978-3-499-01160-3
- Preis:
- 14 €