"Die blaue Stunde": Wenn Realität und Einbildung verschwimmen
Die Britin Paula Hawkins schreibt Pageturner, die unter die Haut gehen. Auch ihr neuestes Buch ist schon auf den Bestseller-Listen in den USA und Großbritannien. Jetzt ist "Die blaue Stunde" auf Deutsch erschienen.
The Blue Hour, die "blaue Stunde", das ist die Zeit am Tag, wo die Schatten aus dem Meer steigen, wo das Licht dämmrig und die Welt unscharf wird. Wo Realität und Einbildung verschwimmen.
Schauplatz des Thrillers ist eine fiktive Insel vor der schottischen Küste. Hier hat bis zu ihrem Tod die geheimnisumwitterte Künstlerin Vanessa Chapman gelebt und gearbeitet. Mittlerweile werden ihre Kunstwerke hoch gehandelt. Doch ein Skandal droht die Kunstwelt zu erschüttern.
"Hier ist Goodwin, Tate Modern." Der Hörer rutscht von Beckers Schulter; er fängt ihn auf und drückt ihn wieder ans Ohr. "Entschuldigung, wer?" Der Mann am anderen Ende atmet hörbar aus. "Will Goodwin", sagt er übertrieben deutlich. "Von der Tate Modern in London. Ich rufe an, weil wir ein Problem mit einer der Leihgaben der Fairburn-Stiftung haben." Leseprobe
Das "Problem": In einer Skulptur wurde eine menschliche Rippe gefunden. Und James Becker ist der Kurator, der das Werk der Künstlerin pflegt und verwaltet. Was verbirgt sich dahinter? Also begibt er sich auf die Suche, fährt nach Eris Island, der abgeschiedenen Gezeiteninsel.
Eine Insel voller Geheimnisse
Autorin Paula Hawkins lässt sich angenehm viel Zeit, um die Spannung aufzubauen. Eris Island hat nur einen Zugang bei Ebbe und nur eine einzige Bewohnerin: Grace Haswell. Die Ärztin wohnt im Haus der Künstlerin, war ihre engste Freundin - zumindest behauptet sie das. Sie wacht über ihr Werk ...
Da kommt jemand. Ein Fremder. Er tuckert mit einem blauen Auto über den Damm. Grace erkennt schon am Fahrstil, dass er noch nie hier war. Er bewegt sich langsam, zaghaft, nimmt sich Zeit. Sie überprüft, ob die Haustür abgeschlossen ist. Leseprobe
In alten Zeiten sollen die Küstenbewohner ihre Toten auf der Insel bestattet haben, damit die Wölfe sie nicht ausgraben. Mysteriös ist, wieso der glamouröse Ehemann der Künstlerin vor 20 Jahren spurlos verschwand. James Becker stellt Grace Haswell unangenehme Fragen nach der Rippe.
"O Gott. Jetzt begreife ich erst, worum es hier geht. Sie glauben, es ist er, stimmt’s?" Becker saugt scharf die Luft ein. "Nein, ich …" "O Mann, ist das absurd", sagt sie und verzieht verächtlich den Mund. "Wirklich völlig absurd." Sie beugt sich vor, schnappt ihm seinen halbvollen Becher weg, wirbelt herum und schleudert ihn in die Spüle. "Ich möchte, dass Sie gehen!", ruft sie. Leseprobe
Inspiriert von Daphne du Maurier
Man spürt, wer Paula Hawkins inspiriert hat: Daphne du Maurier, die Autorin von "Rebecca" und "Die Vögel", die zu Hitchcock-Klassikern wurden. Hier wie dort ist der Horror wohldosiert, deutet sich subtil an. "Ich liebe die Atmosphären, die sie erschafft, die Spannung, weil du nie sicher sein kannst, woher die Gefahr kommt", sagt Hawkins. "Das wollte ich auch erzeugen - ja, sie war immer in meinem Kopf!"
Im Roman wechseln sich Tagebucheinträge Vanessas mit der Handlungsebene ab. In Rückblenden wird die toxische Dreiecksbeziehung zwischen der toten Künstlerin, ihrem Ehemann und der quicklebendigen Ärztin Grace Haswell erzählt: Die wird zur unheimlichen Schlüsselfigur. James Becker steht vor einem Rätsel.
Das Buch liest sich spannend bis zum Schluss: "Die Blaue Stunde" taucht in die Zwischenzone zwischen dem Wahrnehmbaren und dem Unsichtbaren. Man findet nur schwer hinaus.
Die blaue Stunde
- Seitenzahl:
- 368 Seiten
- Genre:
- Krimi
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Birgit Schmitz
- Verlag:
- dtv
- Bestellnummer:
- 978-3-423-28454-7
- Preis:
- 22 €