"Die Liebe in Zeiten Mao Zedongs": Verstörendes Buch von Liao Yiwu
Mit dem Roman "Die Liebe in Zeiten Mao Zedongs" reist Liao Yiwu in einen der dunkelsten Abschnitte der jüngeren chinesischen Geschichte zurück. Man kann diese Zeit nicht in Worte und Geschichten kleiden, ohne zu verstören.
Nach seinem Dokumentarroman "Wuhan" hat der chinesische Dichter und Poet Liao Yiwu jetzt einen neuen Roman vorgelegt, der sich mit den Untiefen, den Grausamkeiten und den Traumata der "Großen Proletarischen Kulturrevolution" (1966-1976) beschäftigt. Seit 2011 lebt der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in Deutschland im Exil, für sein Gedicht "Massaker" war er in der VR China mehrere Jahre inhaftiert worden. Seine Gedichte und Bücher wurden zensiert oder gleich verboten.
Ein gebeuteltes Land stürzt vollends ins Chaos
"Ái qíng" - "Liebe", steht untereinander in weißen Zeichen auf dem Buch. Die Liebe - sowohl die romantische, als auch die allumfassende - sucht der Protagonist der Geschichte: Zhuang Zigui. Er ist ein Kind jener Großen Proletarischen Kulturrevolution, die der Herrschaft von Mao Zedong eine Krone der Verblendung aufsetzte. Jugendliche denunzierten und schlugen ihre Eltern, um zu den sogenannten Roten Garden zu gehören, jenen Halbwüchsigen, die das eh schon durch Hungersnöte und Misswirtschaft gebeutelte Land vollends ins Chaos stürzten.
Mit den Windstößen dringt uralter Wahnsinn in die blutunterlaufenen Pupillen der Zeitgenossen, von damals bis heute, von hier bis dort, vom Anfang bis ans Ende. Aug in Aug steht man sich in weiter Ferne gegenüber, bis schließlich alle Augen durch und durch gerötet sind und kollektive Erschütterung die Ergriffenheit des Individuums ersetzt. Es war die eindrucksvollste Götzenverehrung auf der Erde des 20. Jahrhunderts.
So erlebt der 17--jährige Zhuang Zigui die Versammlung tausender Rotgardisten auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Sie alle sind dort, um Mao Zedong zu sehen. Zhuang Zigui lernt hier seine erste große Liebe, Nie Honghong kennen, die wenig später bei einem tragischen Scharmützel ihr Leben verliert.
Zhuang Zigui entdeckt die Liebe zu den Worten
Man ahnt es, die Geschichte um Zhuang Zigui wird im Verlauf des Romans nicht gerade an Heiterkeit und Zuversicht gewinnen. Im Gegenteil. Hunger und Perspektivlosigkeit lassen ihn zum Vergewaltiger und Tiere quälenden Sadisten werden, rastlos zieht er zehn Jahre durchs Land, wird Dorflehrer und verzweifelt am Landleben, denn hier erkennt er:
(…) dass es auf dieser Welt nie irgendeine Veränderung gegeben hatte und auch niemals eine geben würde (…), die überwiegende Mehrheit der Landbevölkerung hatte keine Ahnung, was der Unterschied zwischen einer Republik und einer Volksrepublik war, der Vorsitzende Mao nahm in ihren Herzen etwa die Position eines lokalen Bodhisattwas ein.
Eine Liebe zumindest ist immer gegenwärtig und wird doch nie benannt: die Liebe zur klassischen chinesischen Literatur, zu Büchern wie "Die Räuber vom Liang-Shan Moor", "Der Traum der roten Kammer", "Das Buch der Lieder", oder "Die Reise nach Westen". Das durch die Wirren der Zeit verschüttete Kulturgut bahnt sich seinen Weg, verbotene Zitate und Referenzen, ebenso wie untersagte Lieder aus vorrevolutionärer Zeit sind für die Jugendlichen Rotgardisten auf dem Land so gefährlich wie reizvoll. Bis nach Tibet führt Zhuang Zigui seine Suche nach der Liebe. Hier findet er etwas, das stärker zu sein scheint als die Worte eines Mao Zedong:
Dieser kollektive Fanatismus war wie ein Fieber, bei dem die Temperatur schnell steigt und genauso schnell wieder fällt; das hier hingegen, diese uralte, tausendfache Suche, das allein ist durch und durch religiöser Glaube.
Am Ende entdeckt Zhuang Zigui, in dessen Namen auch jener des berühmten Philosophen und Dichters "Zhuangzi" schwingt, seine Liebe. Es ist die Liebe zu den Worten.
Liao Yiwu begann seinen Roman im Gefängnis
Es ist ein verstörendes Buch, das Liao Yiwu geschrieben hat. Man kann diese Zeit nicht in Worte und Geschichten kleiden, ohne zu verstören. Da er den Roman im Gefängnis begann und erst 2016 im Deutschen Exil fertigschreiben konnte, 50 Jahre nach Beginn der Kulturrevolution, stellt das Buch vielleicht auch eine Art Abschluss für ihn selbst dar. Die Liebe wäre dann zu deuten als Liebe zu einem Land, in das er nicht zurückkehren wird.
Die Liebe in Zeiten Mao Zedongs
- Seitenzahl:
- 448 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Übersetzt von Brigitte Höhenrieder und Hans Peter Hoffmann
- Verlag:
- S. Fischer
- Bestellnummer:
- 978-3-10-397291-7
- Preis:
- 26 €