"Die Intuitionistin": Colson Whiteheads genialer Debütroman
Colson Whiteheads Debütroman von 1999 ist in einer neuen Übersetzung von Henning Ahrens erschienen. Ein irrwitziger Ritt durch das zerrissene und abgehalfterte New York der 50er- und 60er-Jahre.
Lila Mae ist Fahrstuhlinspekteurin. In ihrer steifen blauen Uniform geht sie ihrer Arbeit nach, begutachtet die Aufzüge New Yorks. Sie ist die Beste in ihrem Job, sorgt dafür, dass der Weg nach oben oder unten - die Vertikale, die entscheidende Himmelsrichtung der Metropole - störungsfrei bleibt.
Was Lila Mae zu einer doppelten Außenseiterin in ihrer Fahrstuhlinspektions-Behörde macht: Sie ist die erste Schwarze in dem Beruf - und sie ist Intuitionistin. Das heißt, sie kontrolliert Fahrstühle nach ihrer Intuition, nicht nach trockenem Empirismus. Statt an Schrauben zu rütteln, statt Stahlseile und Zahnräder zu prüfen, steht sie in der Kabine, schließt die Augen und spürt.
Die Vibrationen des Fahrstuhls werden vor ihrem geistigen Auge zu einem meerblauen Kegel. Der Kugelschreiber liegt in ihrer Hand, ihr Griff lockert sich. Er könnte fallen. Sie blendet das Atemgeräusch des Hausmeisters aus, ein dumpfes Rasseln, das kurz vor dem Ausatmen zum Pfeifen wird. Das ist Krach. Der Fahrstuhl bewegt sich. Der Fahrstuhl steigt im Schacht auf. Leseprobe
"Die Intuitionistin": Ein irrwitziger, surrealer Roman
Intuitionisten und Empiristen, zwei Schulen der Fahrstuhlkontrolle, stehen sich hier feindlich gegenüber. Bisher ging bei Lila Mae alles gut: Ihre Prüfresultate sind sogar besser als bei ihren Empiristen-Kollegen, weißen Männern, die sie verachten und schneiden. Auch weil sie eingefleischte Rassisten sind.
Doch gleich am Anfang geht etwas schief: In einem 18-stöckigen Gebäude rauscht ein Fahrstuhl, den Lila Mae gerade inspiziert hatte, ungebremst in die Tiefe. Auch wenn niemand zu Schaden kommt: Der Schaden für ihre Reputation ist immens. Die Empiristen veranstalten eine Treibjagd auf sie. Währenddessen sucht Lisa Mae nach den wahren Gründen für den Unfall, um sich zu rehabilitieren. Dieser irrwitzige, surreale Roman, Colson Whiteheads Debüt von 1999, ist ein Ritt durch eine zerrissene und abgehalfterte Megacity der 50er- und 60er-Jahre.
Lila Mae hat an der renommierten Akademie für Vertikalen Transport studiert, ist eine Bewunderin des Fahrstuhltheoretikers James Fulton. Dieser inzwischen verstorbene Visionär soll einen idealen, reibungslosen Fahrstuhl entworfen haben, eine Black Box. Und nach der jagen jetzt Agenten in schwarzen Anzügen und mit rabiaten Methoden. Die Black Box verheißt ungeahnte architektonische Höhen. Und natürlich geschäftlichen Megaerfolg.
Satire über Rassismus und Frauenhass
"Die Intuitionistin" ist ein schillernder Kriminalroman, ein Retro-Science-Fiction, der an den ersten Teil der Matrix-Serie und an den frühen Quentin Tarantino erinnert. Orte, Zeitebenen setzen sich wie wirre Puzzleteile zusammen, reiben sich aneinander, alles gerät in einen atemlosen Rhythmus. Da blitzen Kindheitserinnerungen auf, in denen Lila Mae verbotenerweise nachts ein Glas Wasser aus der Küche holt, was ihr der Vater verboten hatte. Das klingt poetisch, scheinbar zusammenhanglos, wie Splitter einer fragilen Existenz.
"Warum bist du nach unten gekommen?", fragte er, sprach nun laut, nicht mehr flüsternd wie beim Lesen. "Ich wollte mir ein Glas Wasser holen." "Dann tu das und schaff deinen Arsch wieder ins Bett", sagte er. Sie stand mit ihrem Glas Wasser im Wohnzimmer, da hörte sie, wie er die Kerze auspustete. Als wäre er der Herbst. Leseprobe
Wörter prallen wie Schläge auf Metall aufeinander, sprühen Funken, werden zu einer Satire über die Gier des weißen Mannes, über Rassismus, Frauenhass. Der Fahrstuhl ist hier ein Bild für Aufstieg und Fall. Eine Wette auf ein Glück, das nicht am Stahlseil, sondern an einem seidenen Faden hängt. Ein geniales Debüt.
Die Intuitionistin
- Seitenzahl:
- 272 Seiten
- Genre:
- Krimi
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Henning Ahrens
- Verlag:
- Hanser
- Bestellnummer:
- 978-3-446-26183-9
- Preis:
- 26 €