"Die Regeln des Spiels": Ganoven-Geschichten aus Harlem
Colson Whiteheads Roman "Die Regeln des Spiels" verwebt virtuos drei Geschichten um Möbelhändler Ray Carney im New York der 70er. Darin fliegen Brandsätze, fließt Blut und krachen Knochen. Ein großer Lesespaß.
Ray Carney ist wieder zurück im Spiel. Schon im letzten Roman von Colson Whitehead "Harlem Shuffle" ist dieser Möbelhändler die Hauptfigur. Den hohen Lebensstandard, den seine Frau und seine Schwiegereltern erwarten, hat er sich lange mit kleineren und größeren Hintertüren-Geschäften finanziert. Eigentlich sollten seine Nebeneinkünfte mit entwendeten Haushaltsgeräten oder geraubten Juwelen endgültig der Vergangenheit angehören. Carney will sich sein Geld ehrlich verdienen - doch nun möchte die Tochter unbedingt Karten für das ausverkaufte Konzert der "Jackson Five" im Madison Square Garden. Und woher die nehmen, wenn nicht stehlen.
Carney muss alte Kontakte aktivieren. Ein korrupter Polizist verspricht, die Karten zu besorgen. Allerdings fordert er eine Gegenleistung: Um einer internen Untersuchung der Polizei zu entgehen, will er sich ins Ausland absetzen - aber vorher noch schnell ein paar Raubüberfälle begehen. "Kutschier mich", sagt er mit vorgehaltener Waffe, "und Du bist aus der Nummer raus."
Carney hatte lange genug mit dem Detective zusammengearbeitet, um zu wissen, dass er log und dass auch das mit den Tickets gelogen war. Er war selbst schuld. Er war vier Jahre lang auf dem rechten Weg geblieben, aber nur ein einziger Ausrutscher, und jeder sorgt mit Vergnügen dafür, dass du kräftig auf die Schnauze fällst. Gauner bleibt Gauner, und krumm hasst gerade. Der Rest ist Überleben. Leseprobe
New York von seiner schlechtesten Seite
Im Grunde besteht "Die Regeln des Spiels" aus drei Novellen, drei virtuos miteinander verwobenen Geschichten, in denen Harlems bürgerliche Gesellschaft und seine Unterwelt sich berühren. Der erste Teil spielt im Jahr 1971 und schildert Carneys spektakulären Rückfall in die Kriminalität. Im zweiten Teil - 1973 - wird sein Möbelladen Schauplatz eines Blaxploitation-Movies, eines überdrehten Gangsterfilms mit schwarzem Personal. Der dritte Teil thematisiert die vielen Brände in Harlem 1976, die teils auf Brandstiftung, teils auf jahrelanges Missmanagement zurückgehen. Und immer präsentiert sich die Stadt von ihrer schlechtesten Seite.
New York in den 1970er-Jahren: Die Arbeitslosenrate steigt, die Kriminalitätsrate ebenso. Die Wirtschaft schwächelt. Whitehead zeichnet ein Gesellschaftsporträt jener Jahre aus der Sicht derer, die am Rande stehen und unter dem Radar operieren: Spieler, Gangster, Hehler, Junkies, Fälscher, Zuhälter, Daumenbrecher und Problemlöser. Es ist ein schillerndes Milieu voll schräger Vögel mit sprechenden Namen.
Lonnie war ein Kartengeber auf dem aufsteigenden Ast und gehörte zu Corkys engerer Auswahl, wenn er etwas auf die Beine stellte. Regelmäßige Teilnehmer am Spielbetrieb kannten ihn von Mo Mos Partien im Sable Club oder Mike Yellas Morningside-Spiel, wo T-Bone Givens im Sommer 67 von den Ryan-Brüdern niedergeschossen worden und mit dem Gesicht in einer Schüssel Kartoffelsalat gelandet war. Leseprobe
Sympathische Ganoven im flirrenden Großstadt-Kosmos
Es macht Spaß, diesen Roman zu lesen. Die hartgesottene, dem Gaunerjargon und dem Genrefilm abgelauschte Sprache des Erzählers bewirkt, dass man den Figuren mit Sympathie und der Handlung mit Amüsement folgt - auch wenn Brandsätze fliegen, Blut fließt oder Knochen krachen. Die vielen skurrilen Szenen und Situationen, die der Autor in einer Fülle von Anekdoten und Nebengeschichten entwirft, ziehen den Leser förmlich hinein in das flirrende Gemälde eines Großstadt-Kosmos - in dem irgendwie jeder ein kleinerer oder größerer Ganove ist.
Colson Whiteheads Harlem-Reihe ist als Trilogie angelegt - was eine gute Nachricht ist. Denn dieses harte, verkommene, aber auch swingende, bunte und lebensfrohe Harlem ist noch nicht auserzählt. Außerdem will man ja auch wissen, wie es mit dem Protagonisten weitergeht. Nun, da Ray Carney wieder zurück ist im Spiel.
Die Regeln des Spiels
- Seitenzahl:
- 384 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl
- Verlag:
- Hanser
- Bestellnummer:
- 978-3-446-27754-0
- Preis:
- 26 €