"Der Komet": Vom Sternenhimmel zum Bombenhagel
Das neue Buch von Durs Grünbein beginnt beim Sternenhimmel und endet beim Bombenhagel auf Dresden. "Der Komet" begleitet das Leben seiner Großmutter in der NS-Zeit und zeigt, dass man immer eine Wahl hat.
Als der Halleysche Komet 1910 wieder einmal sichtbar wurde, breitete sich weltweit eine Panikstimmung aus. Von Weltuntergang war die Rede. Die Gefahr drohte vom Himmel. Da war die Protagonistin des neuen Grünbein-Romans Dora W., eine Großmutter des Autors, noch lange nicht geboren. Sie kam 1920 in Schlesien zur Welt, in sehr ärmlichen Verhältnissen, hütete in ihrer Kindheit Ziegen und entwickelte dabei ihre Neigung, sich stets den Himmel sehr genau anzuschauen. Als 16-Jährige folgt sie ihrem Verlobten Oskar nach Dresden und bekommt zwei Töchter.
Der Himmel über Dresden
Der Himmel über Dresden, seine unterschiedlichen Erscheinungsformen, mal mit Sternen, mal mit einem Zeppelin verziert, gehört zu den Protagonisten dieses Romans - bis die zerstörerische Bombennacht am 13. Februar 1945 alle früheren Kometen-Befürchtungen in den Schatten stellt. Seine Fragestellung sei gewesen: "Welche Geschichte war es, die dahin geführt hat?", erzählt Durs Grünbein. "Das versuche ich aus einer kleinen Perspektive zu beleuchten. Die meiner Großmutter mütterlicherseits, ein Stück Familiengeschichte, ein Stück Alltagsgeschichte des Dritten Reiches, die Geschichte einer sehr jungen Frau, die mit 16 dahin kommt und 25 ist, als dann die Stadt untergeht. Und diesen Zeitraum vor allem beleuchte ich.
Alltagsgeschichte des Dritten Reiches
Das Buch liest sich über weite Strecken wie ein Bericht - sachlich, gründlich recherchiert, mal mit historischen Zeitungsartikeln angereichert oder mit Feldpostbriefen. Grünbein analysiert sehr genau, wie sich das politische Klima zwischen 1936 und 1945 immer weiter zuspitzt, die Judenverfolgung, die Kriegsvorbereitungen bis zum Ausbruch, die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen der Bevölkerung, während in Berlin die Olympischen Spiele gefeiert werden. Dora W. geht in Dresden derweil in die Gemäldegalerie, um die Alten Meister zu bewundern, auch mal in die Oper. Oder macht Radtouren ins Umland mit ihrer Freundin Trude.
Der Ich-Erzähler kommt nur sehr dezent zum Vorschein, wenn er etwa aus heutiger Sicht bedauert, seine inzwischen verstorbene Großmutter so vieles nicht mehr fragen zu können. Diese Lücken kann er nur fiktional schließen, wie es auch andere Schriftsteller machen: etwa Ralf Rothmann in seinem Mutter-Roman "Die Nacht unterm Schnee". "Ich würde sofort verstehen, wenn man eigentlich sagt: für einen Dichter gehört sich das gar nicht. Das ist alles so indiskret, wenn man Familiäres ins Spiel bringt", sagt Grünbein. "Ich tue es aber eher dezent. Ich nehme mir jetzt ein exemplarisches Leben vor, was eben ein Familienmitglied betrifft. Zugleich will ich aber etwas ganz anderes erzählen. Ich will Stadtgeschichte erzählen, Alltagsgeschichte des Dritten Reiches erzählen, ich will aber auch ein bisschen zeigen, was dazu geführt hat und dass das eben am Ende diesen Riesen Knall gibt, mit dem die Stadt untergeht."
"Der Komet": Kein politisches Pamphlet
Dora W., ihr Mann Oskar und ihre Freundin Trude kommen uns beim Lesen sehr nah. Vor allem Trude erinnert mit ihrer mutigen Art, den Nazi-Bonzen immer mal wieder Paroli zu bieten, daran, dass wir immer eine Wahl haben. Am Ende des Romans wird sie sogar zur Lebensretterin. Durs Grünbein leuchtet mit seinem Buch sehr genau die Stimmungslage im faschistischen Deutschland aus und fordert uns damit auch auf, unsere Gegenwart sehr genau wahrzunehmen. Ein politisches Pamphlet ist "Der Komet" aber keinesfalls. "Es liegt nun so lange zurück. Bald sind‘s doch hundert Jahre, dass allein das schon wie eine poetische Ferne erscheint. Es ist auch sozusagen durch eine poetische Brille gesehen das Ganze. "
Der Komet
- Seitenzahl:
- 282 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Suhrkamp
- Bestellnummer:
- 978-3-518-43020-0
- Preis:
- 25 €