Buch-Cover: Ayòbámi Adébáyò - Das Glück hat seine Zeit © Piper Verlag

"Das Glück hat seine Zeit": Vom harten Leben im zerrütteten Nigeria

Stand: 03.07.2023 06:00 Uhr

Kommt Ayòbámi Adébáyòs Roman "Das Glück hat seine Zeit" auf den ersten 150 Seiten nicht so richtig aus dem Quark, so wird er in der zweiten Hälfte zur spannenden Geschichte mit fatalen Wendungen und mutigen Entscheidungen.

von Claudia Cosmo

Der Teenager Eniola ist der größte in seiner Klasse und bekommt die meiste Prügel, denn seine Eltern können das Schulgeld für ihn und seine Schwester Busola nicht mehr aufbringen. Schülerinnen und Schüler, deren Eltern in Zahlungsrückstand geraten, werden nicht sofort von der Schule verwiesen, sondern erhalten wie Eniola morgendliche Peitschenhiebe.

Er war vorbereitet und trug an diesem Vormittag drei Unterhemden unter der Schuluniform. Die ersten fünf Schläge trafen den unteren Teil seines Rückens, wo sie von den Unterhemden abgemildert wurden. Doch beim letzten zielte Mr. Bisade höher, sodass die Peitsche sich um Eniolas Hals wickelte. Er unterdrückte einen Aufschrei und biss sich auf die Zunge, bis er Blut schmeckte. Leseprobe

Der Traum von Glück und Freiheit

Ayòbámi Adébáyòs Roman "Das Glück hat seine Zeit" spielt in Nigerias Bundesstaat Lagos, woher auch die Autorin stammt. Die Schriftstellerin beschreibt darin die Lebenslinien mehrerer Protagonisten, die aus unterschiedlichen sozialen Schichten stammen. Eniolas Familie hat es hart getroffen. Nachdem sein Vater als Lehrer entlassen wurde, kämpft man ums Überleben. Eniolas Mutter geht sogar betteln, um genug zu essen auf den Tisch zu bekommen. Da Eniolas Schwester von den Eltern als intelligenter angesehen wird, soll nur noch sie zur Schule geschickt werden. Eniola hingegen könnte seine Lehre in Aunty Caros Schneiderei weiterführen. Doch da fehlt der Familie ebenso das Lehrgeld. Im Roman dient die Schneiderei als Begegnungsplattform für Ayòbámi Adébáyòs Figuren. Dort lernt Eniola die reiche Yeye kennen, die für ihre Tochter ein Kleid anfertigen lässt. Gleich die erste Begegnung mit Yeye bringt Eniola Trinkgeld und in seinen Augen auch die Verheißung auf Glück.

Vom Willen, aus einer eingefahrenen Lebenssituation herauszukommen, angetrieben, suchen alle Romanfiguren letztendlich nach Glück. Yeyes Tochter Wuraola beispielsweise ist Assistenzärztin. Ihre erfolgreichen Eltern trimmen sie von Kindesbeinen an auf Disziplin, gesellschaftliche Anpassung, Pflichterfüllung und Erfolg. Doch Wuraola träumt ähnlich wie Eniola von Freiheit, wenn nicht gar von Befreiung. Die Gegenwart ist das, was Wuraola absolviert, auf das Glück und das eigentliche Leben hingegen arbeitet sie hin.

Vielleicht gehörte sie zu den Menschen, bei denen Zufriedenheit immer in der Zukunft verortet war, knapp außer Reichweite. Leseprobe

"Das Glück hat seine Zeit": Spannende Geschichte mit fatalen Wendungen

Ayòbámi Adébáyò wird nachgesagt, dass sich ihr schriftstellerisches Werk auf die Rolle der Frau in der nigerianischen Gesellschaft konzentriert. Das stimmt. Steht Yeye für die Generation von Frauen, deren Ziel es ist, reich zu heiraten und sich durch heimliche Taktierereien finanzielle Unabhängigkeit aufzubauen, verkörpert ihre Tochter Wuraola eine neue Generation junger Frauen, die ihre Unabhängigkeit durch Bildung erreichen wollen. Zudem stellt Wuraola ihre Heirat infrage. Denn ihr Verlobter misshandelt sie. Doch es geht im Roman auch um die Rolle des Mannes, die Adébáyò facettenreich darstellt. So gibt es einige fatale Verstrickungen, in die auch Yeyes Ehemann und Eniola hineingezogen werden. Alles endet in einer großen Tragödie, für die sich Eniola mitschuldig fühlt. Als eher naiver Mitläufer einer Bande wird Eniola Teil eines Verbrechens und merkt, dass er dabei ist, den Mann seiner Gönnerin Yeye zu entführen.

Kommt Ayòbámi Adébáyòs Roman "Das Glück hat seine Zeit" auf den ersten 150 Seiten nicht so richtig aus dem Quark, so wird er in der zweiten Hälfte zur spannenden Geschichte mit fatalen Wendungen und mutigen Entscheidungen. Die Leserinnen und Leser tauchen in eine Personenkonstellation und Gesellschaftsstruktur ein, in der sich alle gegenseitig kontrollieren und doch alles aus den Fugen gerät.

Das Glück hat seine Zeit

von Ayòbámi Adébáyò
Seitenzahl:
496 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
Aus dem Englischen von Simone Jakob
Verlag:
Piper
Bestellnummer:
978-3-492-07146-8
Preis:
26 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 03.07.2023 | 12:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Romane

Viele Bücher in Regalen in einer Buchhandlung, eine junge Frau steht vor einem der Borde und zieht Bücher heraus © Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Rolf Vennenbernd

Bücher 2023: Diese Romane haben uns bewegt

Ob Juli Zehs "Zwischen Welten", Stuckrad-Barres "Noch wach?" oder Kehlmanns "Lichtspiel" - viele Bücher haben 2023 für Gesprächsstoff gesorgt. mehr

Ein Latte Macchiato, eine Brille und eine Kerze liegen auf einem Buch © picture alliance / Zoonar | Oleksandr Latkun

Neue Bücher 2024: Die spannendsten Neuerscheinungen

Unter anderem gibt es Neues von Dana von Suffrin, Michael Köhlmeier und Bernardine Evaristo. mehr

Logo vom NDR Kultur Podcast "eat.READ.sleep" © NDR Foto: Sinje Hasheider

eat.READ.sleep. Bücher für dich

Lieblingsbücher, Neuerscheinungen, Bestseller – wir geben Tipps und Orientierung. Außerdem: Interviews mit Büchermenschen, Fun Facts und eine literarische Vorspeise. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Anthony Hopkins als Anthony in einer Szene des Films "The Father" © Sean Gleason/Tobis Film/dpa

Mediathektipps: "The Father", "Clan" und "Turnen - 60 Sekunden Perfektion"

Um sehr verschiedene Abschiede geht es in den zwei Mini-Serien und dem einen Spielfilm mit Anthony Hopkins und Olivia Colman. mehr