"Das Geheimnis der Glasmacherin": Roman bei dem man Zeit und Raum vergisst
Tracy Chevaliers 1999 veröffentlichter Roman "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" war ein Welterfolg. Ihr neuer Roman über eine Familie, die das ehrwürdige Handwerk des Glasmachens betreibt, führt auf die Insel Murano ins 15. Jahrhundert.
Wie immer bei Tracy Chevalier stehen starke, eindrucksvolle Frauen im Mittelpunkt des Romans. Und sie hat einen erzählerischen Trick gefunden, der ausgesprochen lesefreundlich ist: Sie führt eine Familie auf Murano durch fünf Jahrhunderte, indem sie metaphorisch einen Stein über das Wasser hüpfen lässt - von Epoche zu Epoche. Die Kernfamilie bleibt immer die gleiche - mit der Tochter Orsola im Mittelpunkt. Es kommen Kinder zur Welt und Menschen sterben, aber die wichtigsten Figuren bleiben im Verlauf der Zeit dieselben.
Tracy Chevalier stellt einen magischen Lesefluss her
Im ersten Kapitel lernen wir die Glasmacherfamilie im Jahr 1486 kennen, das zweite Kapitel beginnt 1574, das dritte 1631 und so weiter, bis wir im letzten Kapitel in der heutigen Zeit ankommen. Auf diese Weise freundet man sich mit dem Personal des Romans intensiv an und muss sich nicht immer wieder neue Namen merken. Die Autorin erklärt es so: "Auch Menschen, die Dinge herstellen, haben ein zwiespältiges Verhältnis zur Zeit. Ob Maler, Schriftsteller, Schnitzer, Stricker, Weber oder Glasmacher - schöpferisch Tätige verfallen oft in einen versunkenen Zustand, den heutige Psychologen 'Flow' nennen und in dem Stunden vergehen können, ohne dass sie es bemerken. Leser ebenso. Es ist erstaunlich schwer festzustellen, wie schnell die Zeit vergeht und ob sie für andere womöglich schneller vergeht als für sie. Wie sollten sie das auch wissen, wenn sämtliche Uhren an einem Ort in einem anderen Tempo ticken als anderswo? Oder wenn die Kunsthandwerker in der Stadt auf dem Wasser und auf der Insel des Glases langsamer zu altern scheinen als die im Rest der Welt?"
Tracy Chevaliers Wunsch, einen magischen Lesefluss herzustellen, hat sich erfüllt. Dieser Roman über eine Familie, die das ehrwürdige Handwerk des Glasmachens betreibt, ist eine enorm verlockende Lektüre, bei der man Zeit und Raum gern vergisst.
Das Schicksal einer Glasmacherfamilie
Im Mittelpunkt steht Orsola, die immer wieder versucht, selbst als Glasmacherin eigenes Kunsthandwerk zu kreieren. Ihre Familie Rosso erleidet einen schweren Verlust, als der Vater, ein angesehener Meister seines Fachs, bei einem Arbeitsunfall ums Leben kommt. Sein Sohn Marco muss die Leitung der Werkstatt viel zu früh übernehmen und schikaniert die Familie mit seinen Launen. Seine Mutter Laura greift ein, indem sie die Schwiegertochter einspannt:
Laura wies mit dem Kopf zur Werkstatt. "Per favore, bring deinen Mann zur Vernunft. Wir werden alle noch wahnsinnig." Sie sahen sich einen Moment an, dann nickte Monica. Sie nahm die Schürze ab, gab sie Orsola, strich ihr blaues Kleid glatt und ging in die Werkstatt, die sie nur selten betrat; genau wie sein Vater wollte Marco dort keine Frauen haben. Kurz darauf führte sie ihren Mann an der Hand zum Haus und nach oben in ihr Zimmer. Dort blieben sie für den Rest des Tages. Leseprobe
Und an diesem Tag werden offenbar auch keine Glaskelche mehr hergestellt. Es wirkt wie eine köstliche kleine Anspielung auf Boccaccios "Das Decamerone". Die Herstellung und der Handel mit Murano-Glas durch einen Kaufmann in Venedig wird im Laufe der Jahrhunderte mehrfach durch widrige Umstände bedroht. Die Pest wütet und Konflikte in der Familie befeuern diesen hervorragenden Erzählstoff. Das Buch kommt prunkvoll daher mit einem Buchschnitt, der das Motiv der farbenfrohen Glasmacherkunst aufnimmt.
Das Geheimnis der Glasmacherin
- Seitenzahl:
- 448 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Übersetzt von Claudia Feldmann
- Verlag:
- Atlantik
- Bestellnummer:
- 978-3-455-01812-7
- Preis:
- 25 €