"Das Café ohne Namen": Neuer Roman von Robert Seethaler
In seinem neuen Roman knüpft Robert Seethaler wieder an seine besondere Begabung an, Lebensläufe zu beschreiben, indem er sie auf pures Dasein reduziert. In "Das Café ohne Namen" geht es um das bloße Überleben, um Liebe, Kraft und Tod.
Die Romanhandlung beginnt 1966 in Wien, auf einem Marktplatz in einem eher ärmlichen Stadtbezirk. Dort sucht ein junger kräftiger Mann namens Robert Simon nach Arbeit; er hilft den Marktbeschickern bei allem, wozu man kräftige Arme braucht. Sein bisheriger Lebensweg wird knapp umrissen:
Sein Vater war eine Art Märchengestalt, ein Schatten, der (…) mit einem schweren Mantel und dem Marschbefehl in der Tasche zur Tür hinaus gegangen und nie wieder heimgekehrt war. Nur drei Monate nach der Nachricht vom Heldentod im Feldlazarett starb die Mutter an einer Blutvergiftung, die sie sich beim Entrosten alter Eisennägel zugezogen hatte. Zu verwirrt, um richtig traurig zu sein, lebte Robert fortan in einem Heim für Kriegswaisen der Barmherzigen Schwestern. Die Zeit im Heim inmitten der anderen verlorenen Kinder ließ die Gesichter seiner Eltern und alles, was mit ihnen zu tun hatte, verblassen. Das Kriegsende erlebte der junge Simon als eine Art verschluckten Jubel. Die Leute konnten nicht begreifen, dass es vorbei war, und nur ganz langsam wich das Entsetzen in ihren Gesichtern einem Ausdruck zaghafter Erleichterung. Dann fingen sie an aufzuräumen. Leseprobe
Vom Handlanger zum Café-Besitzer
Robert Simon wohnt zur Untermiete bei der Witwe Martha Pohl. Als er hört, dass der Pächter eines kleinen Kaffeehauses am Markt aufgibt, bewirbt er sich darum, das heruntergekommene Lokal zu übernehmen. Hier schuftet er in den folgenden Jahren, fällt abends hundemüde ins Bett, hat kein Glück mit den Frauen, aber wohl mit einer rechtschaffenen, fleißigen und ehrlichen Mitarbeiterin namens Mila, die ihm zur Seite steht, auch als er bei einer Explosion des Heizkessels im Keller die halbe Hand verliert. Als zehn Jahre - und gefühlt ein gelebtes Leben - später das Haus verkauft werden soll und ihm gekündigt wird, nimmt er Papier und Bleistift, um an die neuen Hauseigentümer zu schreiben:
Vor zehn Jahren war es ein staubiges Loch, jetzt sitzen dort jeden Abend außer Dienstag Menschen, um wenigstens für ein paar Stunden den ganzen Schlamassel um sie herum zu vergessen. Es ist warm, die Fenster sind im Winter dicht und es gibt etwas zu trinken, und vor allem kann man reden, wenn man es nötig hat, und schweigen, wenn einem danach ist. Die Welt dreht sich immer schneller, da kann es schon passieren, dass es einige von denen, deren Leben nicht schwer genug wiegt, aus der Bahn wirft (…) Denen tut nicht die Veränderung weh, sondern jeder einzelne Knochen im Leib, weil sie den ganzen Tag am Bau herumkriechen oder mit krummem Buckel vor einer Maschine hocken oder ganz einfach nur, weil sie zu alt oder zu kaputt oder beides zusammen sind. Leseprobe
Worauf kommt es im Leben wirklich an?
Robert Simon gibt ein großes Abschiedsfest für seine Gäste, mit Lampions, Musik und Getränken frei Haus. Er hat viel geleistet in den letzten Jahren. Eine Konstante in seinem Leben ist Martha Pohl geworden, seine Zimmerwirtin. Sie hat ihn beraten, mit ihm geredet, ihn aufgemuntert, ein Punsch-Rezept beigesteuert und mit Geschichten aus ihrem eigenen Leben getröstet. Jetzt ist sie alt, sehr tüdelig und lebt in einem Heim. Robert Simon besucht sie einmal in der Woche. Mehr Happy End ist nicht. Aber eine melancholisch luftige, nicht allzu schwer zu tragende Demut gegenüber dem Leben hat sich eingestellt. Worauf kommt es in Wirklichkeit an? Jeder Mensch kann an der Stelle, an der er im Leben gelandet ist, Gutes bewirken.
Das Café ohne Namen
- Seitenzahl:
- 288 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Claasen
- Bestellnummer:
- 978-3-546-10032-8
- Preis:
- 24 €