Buch-Cover: Kent Haruf - Das Band, das uns hält © Diogenes Verlag

"Das Band, das uns hält": Kent Harufs einfühlsames Erstlingswerk

Stand: 19.06.2023 12:01 Uhr

Sechs Romane hat Kent Haruf über die fiktive Kleinstadt Holt in der Prärie Colorados geschrieben. Erst jetzt, nachdem die anderen fünf Romane ihrem Autor zu internationalem Ruhm verholfen haben, folgt die deutsche Übersetzung des Erstlings.

von Jochanan Shelliem

Die fast 80-jährige Edith Goodnough ist das Rückgrat des Romans.

Eine schöne, anständige Frau mit weißem Haar, die im ganzen Leben nie mehr als zweiundfünfzig Kilo gewogen hat und seit diesem Silvesterabend noch viel weniger. Leseprobe

So beginnt die Geschichte, als hätte der Autor den Suspense erfunden - den Sog, der seine Leserschaft über 310 Seiten tragen wird.

Eine Kindheit ohne Mutter

Edith war siebzehn, als ihre Mutter starb. Lyman fünfzehn. Beim nächsten Ereignis, das sie dort festhielt, waren sie ein Jahr älter. Als wäre es noch nicht genug, dass ihr Vater Roy Goodnough hieß oder ihre Mutter früh gestorben war, musste noch etwas passieren, um die Sache endgültig zu regeln und Edith und Lyman für immer zu prägen, bis sie so endeten - zwei alte Menschen, Schwester und Bruder, die ganz allein in einem gelben, von wucherndem Unkraut umgebenen Haus lebten. Leseprobe

Roy Goodnough ist ein ungehobelter, eigenbrötlerischer Tyrann. Im Frühjahr 1896 setzt er seine zarte Ehefrau in Johnson County/Iowa auf einen vollgepackten Pferdewagen und macht sich auf, um in der windzerfurchten Einöde der High Plains von Colorado Schweine zu züchten. Ada stirbt nach zwei Geburten ausgemergelt, 42-jährig und verstummt. Und Roy hat jetzt nur noch seine Kinder, die er schikanieren kann, um Mais anzubauen, bevor die US-Regierung in den 1930er-Jahren Pappeln und Eschen anpflanzen ließ.

Durchhalten ist das einzige, was zählt

Seziert der Autor in den fünf folgenden Romanen über Holt die Tragik des Lebens in der Kleinstadt selbst, so geht es ihm in der Geschichte von Edith Goodnough um die Facetten einer Tyrannei ohne regulatives Umfeld, sieben Meilen südlich der Stadt. Die nächsten Nachbarn wohnen eine halbe Meile weiter. In dieser Einöde ist ein Mann ein Mann. Durchhalten ist das Lebensziel und kein Mann bietet einem Tyrannen seine Stirn, wenn es nicht den eigenen Hof betrifft. John Roscoe ist der nächste Nachbar, der sich raushält, vielleicht weil er mit einer Halb-Chayenne zusammen lebt. Sanders Roscoe ist sein Enkel.

"Mr. Roscoe", sagt er. "Ich bin Dick Harrington. Von der Post."
"Ach ja?", sage ich. "Ich hoffe, sie wollen mir nichts andrehen."
"Nein", sagt er. "Von der Denver Post. Das ist eine Zeitung. Vielleicht kennen Sie sie."
"Sicher kenne ich sie", sage ich. "Wir legen sie gewöhnlich vor die Hintertür, wo wir unsere Stiefel abtreten, damit wir keinen Kuhmist in die Küche tragen." Dann werfe ich den Kopf zurück und lache." So kann man sich die Fußmatten schenken", sage ich. Leseprobe

Sanders Roscoe ist ein selbstbewusster Hinterwäldler, der mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hält und mit keinem spricht, den er nicht kennt, aber den Hergang der Ereignisse, die sich hinter dem Staub verbergen, die dieser Reporter aufwirbeln wird, richtig stellen will. Und weil er erzählt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, erhält die Tragik ihren lakonischen Zungenschlag in diesem Steinbeck’schen Roman und es bildet sich die erdige Atmosphäre der Plains von Colorado, in der Gott weit weg, der Mensch von allen guten Geistern verlassen und Durchhalten das einzige ist, was zählt.

Das Band, das uns hält

von Kent Haruf
Seitenzahl:
320 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
Aus dem Amerikanischen von Pociao und Roberto de Hollanda
Verlag:
Diogenes
Bestellnummer:
978-3-257-07229-7
Preis:
25 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 12.06.2023 | 12:40 Uhr

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