Buchcover: Christopher Isherwood - Begegnung am Fluss © Hoffmann & Campe Verlag

Christopher Isherwoods "Begegnung am Fluss" neu übersetzt

Stand: 29.12.2022 06:00 Uhr

Christopher Isherwoods 1967 erstmals erschienener Roman "A Meeting by the River" ist nun in einer Neuübersetzung herausgekommen. Bis heute hat die Geschichte keine Patina angesetzt.

von Katja Weise

Zwei Brüder sind es, die sich hier nach Jahren des Schweigens wiederbegegnen, die dafür eine lange Wegstrecke zurücklegen müssen - nicht nur in geografischer Hinsicht. Zu verschieden sind die Positionen:

Lieber Patrick, Du wirst überrascht sein, nach so langem Schweigen von mir zu hören. (...) Ich schreibe nur wegen eines dummen Missverständnisses. (...) Mutter hat immer noch den Eindruck (...), dass ich mich in Kalkutta aufhalte, um für das Rote Kreuz zu arbeiten, wie bis vor einem Jahr in Deutschland. Aber dem ist nicht so. Ich befinde mich in einem hinduistischen Kloster ein paar Meilen außerhalb der Stadt, am Ufer des Ganges. Will sagen, ich bin hier als Mönch. (...) Könntest Du es Mutter mitteilen? Leseprobe

Patrick ist Verleger, neuerdings auch Filmproduzent, ein charismatischer Mann, der gewohnt ist, dass die Dinge so laufen, wie er es sich vorstellt. Er reist, als er diesen Brief seines jüngeren Bruders erhält, umgehend nach Kalkutta, um Oliver zur Besinnung zu bringen. Dem versichert er schriftlich allerdings, vor allem verstehen zu wollen, was ihn zu diesem Schritt bewege. An die Mutter schreibt er:

Und denk dran, liebste Mutter, dass Du Dich nicht um ihn zu sorgen brauchst. Ich kann Dir schon im Voraus hoch und heilig versprechen, dass alles ins Lot kommen wird. Das sagt mir mein Gefühl, und Du kennst meine Gefühle. Sie irren nie! Leseprobe

Christopher Isherwood zeigt die Unvereinbarkeit zweier Lebensmodelle

Patrick will das Leben in vollen Zügen genießen: Er ist verheiratet, hat zwei Töchter in Großbritannien, und in Los Angeles außerdem einen deutlich jüngeren Liebhaber, dem er zunächst heiße Liebesbriefe schreibt, dann jedoch eiskalt den Laufpass gibt. Ihn lernen wir vor allem als Briefeschreiber kennen: Immer findet er - je nach Adressat/Adressatin - dabei eine andere "Wahrheit". Oliver hat genug vom weltlichen Glanz. Nach der Begegnung mit einem Swami, einem hinduistischen Mönch, der sein Lehrer wird, meint er seinen Weg endlich gefunden zu haben.

Was mir an Swami schon früh auffiel, war seine unglaubliche Fähigkeit zur Anteilnahme. Ehe ich mich ernsthaft für einen Jünger halten konnte, musste ich lernen und begreifen, dass ich ihm etwas bedeutete, mehr als jedem anderen mir bekannten Menschen, mehr sogar als Mutter. Was diese Art der Anteilnahme so einzigartig macht, ist, dass sie keinen Zweck verfolgt, dass sie nie besitzergreifend ist oder von Pathos oder Sentimentalität begleitet wird, wie dies bei der sogenannten Liebe meist der Fall ist. Leseprobe

Doch das Wiedersehen mit Patrick wird für Oliver zu einer Prüfung. Zu eng ist die Beziehung der Brüder - immer noch - und geprägt durch eine seit der Kindheit große Konkurrenz. Wer macht, wer weiß es besser? Beide lieben zudem dieselbe Frau. Letztlich zeigt Isherwood in den Figuren die Unvereinbarkeit zweier Lebensmodelle: die Sehnsucht nach weltlicher Enthaltsamkeit und spiritueller Erfüllung einerseits und den unbedingten Willen, das Leben auszukosten andererseits.

"Begegnung am Fluss": Aktueller denn je

Bis heute hat diese Geschichte keine Patina angesetzt: Die Fragen, die sich die Brüder später im Kloster auch direkt stellen, haben ihre Gültigkeit bis heute, und gerade die nach dem Verzicht ist aktueller denn je und kann individuell gelesen und beantwortet werden. Es ist aufschlussreich, die vielen Gesichter Patricks in den Briefen kennenzulernen - hinter die Maske lässt er sich kaum schauen. Oliver hingegen ist das Spiel leid. Oder flieht er einfach nur aus der Welt wegen Überforderung?

Ich habe das Gefühl verrückt zu werden. Ich weiß beim besten Willen nicht, was ich als Nächstes tun werde - oder nicht tun werde.

Gelingt es Patrick also, seinen Plan umsetzen? Er wickelt sogar die Mönche im Kloster um den Finger. Die Wiederentdeckung dieses Romans ist unbedingt ein Gewinn.

Begegnung am Fluss

von Christopher Isherwood
Seitenzahl:
208 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
Übersetzt von Hans-Christian Oeser
Verlag:
Hoffmann und Campe
Bestellnummer:
978-3-455-01301-6
Preis:
25 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 29.12.2022 | 12:40 Uhr

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