Christoph Eckers "Notizen aus einem Lager an der egozentrischen Grenze"
Als fiktives Notizbuch aus Aphorismen, Reflexionen, Beobachtungen, kleinen Geschichten und autobiografischen Skizzen kommen die "Notizen aus einem Lager an der egozentrischen Grenze" des Kieler Schriftstellers Christoph Ecker daher.
"Sinn ist nie vorhanden." Damit fängt es an, in der ersten Notiz. "Alles ist offen." Der Schriftsteller macht uns keine Illusionen. Lesen ist für ihn wie eine archäologische Grabung in babylonischen Textschichten. Christopher Ecker hat Spaß an der Vieldeutigkeit: "Der Anfang ist etwas sperrig, aber ich fand es nicht unkomisch, dieses Notizenbuch anzufangen, als wäre es wirklich ein reines Schriftstellernotizbuch, in dem man sich nur Gedanken über Texte und Wirklichkeit macht." Für die man mit einer Laterne in Grotten und Katakomben hinabsteigt. Das Abstrakte wird unvermittelt zum konkreten Bild. Lesen ist kräftiges Mitschöpfen, schreibt Ecker: "Es ist häufig so, dass Sinn ein Konstrukt ist, das man über die Welt stülpt."
Was macht das Ich aus?
Es ist häufig auch Un-Sinn. Eine philosophische Reflexion auf das Ich mündet im dadaistischen Vorschlag, uns einen blauen Plastikeimer über den Kopf zu stülpen. Wo ist da der Sinn, Herr Ecker? "Es verändert die Wirklichkeit", erklärt er. "Es ist ein Akt, der in seiner Unerwartbarkeit oder in seiner Unmöglichkeit irgendetwas mit einem selbst und der Welt macht. Vielleicht sollte das jeder mal ausprobieren, das ist ganz spannend."
Der Autor hat es natürlich nicht probiert. Das "Notizbuch aus einem Lager von der egozentrischen Grenze" ist ja nur halbbiografisch. Doch es sind Dinge, die ihn selbst beschäftigen, die hier mal witzig, mal tiefsinnig, mal komplett absurd und dann wieder hochintellektuell in die kurze Form gegossen sind. "Was macht das Ich aus? Wo ist die Grenze des Ichs zu anderen? Das sind kleine Erkundungen, die mal persönlich sind und mal persönlich scheinen. Denn vieles ist natürlich auch erfunden."
Manches nur knappe Sentenzen wie diese: "Normales Leben ist kein Ich-Erleben". Christopher Ecker meint damit, "dass man nicht weiß, was das Ich ist, wenn man nicht darüber nachdenkt. Wenn man ein Brötchen isst oder spazieren geht oder einen Sonnenuntergang genießt oder kocht oder wenn man zum Bus rennt, da ist kein Ich da. Da will man zum Bus."
Ein Drittel Notizen, zwei Drittel Gedankensplitter
Nicht erfunden ist die Idee zum Buch: ein Drittel wirkliche Notizen als Grundlage für einen bibliophilen kleinen Band zu nehmen. Zwei Drittel fiktive Gedankensplitter, schräge Romantik und scharfe Gesellschaftskritik. Bei Traurigkeit empfiehlt eine Notiz, an Tiere mit Fell zu denken. "Das ist das Niedliche, das uns umgibt und das einem ziemlich guttut." Alternativ eine sinnstiftende Sucht zu kultivieren. Was das sein könnte, muss sich der Leser natürlich selbst denken: "Den Sinn kann man der Welt auch mit irgendetwas geben, wonach man süchtig ist. Beispielsweise Schokolade, Mehlspeisen, das Lecken an Briefumschlägen."
Dass der ein oder andere Texte als leichte Provokation verstanden werden könnten, weist er von sich: "Wenn ich etwas schreibe, was ich lustig finde, dann schreibe ich es, weil ich es lustig finde, und weil ich hoffe, dass andere Leute das auch lustig finden."
Eine Mischung aus konkreter Poesie und tieferem Sinn
Die existenzielle Frage nach dem Sinn, dem Ich und dem ganzen Rest gibt diesen Notizen allerdings einen melancholischen Unterton, was Christopher Ecker nicht bestreitet: "Es ist auch sehr schwer, gerade in der politisch aktuellen Situation, nicht zu resignieren, bzw. nicht mit großer Fassungslosigkeit der Welt zu begegnen. Ich versuche mit viel Heiterkeit an die Sachen ranzugehen und auch mit Humor, aber bei manchen Sachen hört der Quatsch halt auf."
Da passt der typische Ausbruch ins Fantastische, wo das Ich mit Gebäuden verschmilzt oder identitätsverwirrte Maulwürfe statt Autos Getränkeautomaten kaufen. Und die kleinen Horrormotive, mit denen Christopher Ecker so gern spielt, wie die grässlichen Hirschgespenster und verliebten Mumien: "Das ist schon eine gruselige Situation, die in den letzten Jahren immer gruseliger wird. Ich würde sagen, dass zu der altersbedingten fehlenden Unbekümmertheit wahrscheinlich noch eine äußere bedrückende Situation hinzukommt." Dem das Buch freilich mit einer schönen Mischung aus konkreter Poesie und tieferem Sinn begegnet.
Notizen aus einem Lager an der egozentrischen Grenze
- Seitenzahl:
- 140 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Stirnholz Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3948115173
- Preis:
- 38 €