"Wie der Punk nach Hannover kam": Revolte gegen die Langeweile
"Hannovers Image ist schlecht: Die Menschen gelten als stur, steif und ohne Stimmung. Man hält sie für sauber und moralisch, prüde", heißt es 1970 in einem Tagesschau-Bericht über die Stadt. Wenige Jahre später ist Hannover ein Zentrum des deutschen Punk.
Vielleicht weil der Samen der rebellischen Subkultur in der empfundenen Spießigkeit der Stadt auf besonders fruchtbaren Boden fällt. Dabei waren die Voraussetzungen über das gesellschaftliche Klima hinaus denkbar schlecht: Es gab zwar eine gewisse musikalische Infrastruktur, die beschränkte sich aber auf Rockbands wie die Scorpions, erinnert sich Hollow Skai heute. Der ehemalige Punk hat gemeinsam mit Klaus Abelmann und Detlef Max ein Buch über die Anfangszeit des Punk in Hannover herausgegeben: "Wie der Punk nach Hannover kam". Darin beschreibt er mit vielen weiteren Weggefährt*innen die Aufbruchsstimmung der Szene zwischen 1977 und 1983.
Rebellion - Marke Eigenbau
Hollow Skai betont vor allem, was die Punks mit viel Kreativität auf die Beine gestellt haben. "Der Gedanke Do-it-yourself, also es alles selbst zu machen, war natürlich sehr wichtig", erklärt Hollow Skai eines der Grundprinzipien der Punks Ende der Siebziger. "In Hannover gab es keine Plattenfirmen - also haben wir eine gegründet. Es gab keine Musik-Medien - also haben wir Fanzines gemacht."
Das Label "No Fun Records" betrieb Hollow Skai aus seiner Wohnung. Hier veröffentlichte er auch Alben der Band Hans-A-Plast. Die schaffte es 1980 sogar in den WDR-Rockpalast - und damit auf die Fernsehbildschirme der Bundesrepublik.
Punk als eine treibende Kraft der Emanzipation
Die ehemalige Hans-A-Plast-Sängerin Annette Benjamin hat ein Kapitel zu dem Buch beigetragen. Sie findet an der Hannoveraner Punkszene besonders, dass schon früh viele Frauen aktiv waren - und sich selbstverständlich ihren Raum nahmen, obwohl sie oft belächelt wurden. "Ich fand das erstaunlich, dass so viele Frauen sich in Hannover auf die Bühne getraut haben", erinnert sich Benjamin, die damals mit zwei weiteren Frauen bei Hans-A-Plast spielte. "Das fand ich ganz einzigartig, da ging es mir in meiner Band richtig gut. Wir hatten eine Menge Kraft, gegen das anzusingen, was uns damals aufgefallen ist."
Und das war auch: Die männlich geprägte Gesellschaft der Bundesrepublik. Dass auch die vorgeblich alternative Punk-Szene nicht frei von Sexismus war, verarbeitete Benjamin musikalisch: "Deshalb hat ja Hans-A-Plast auch den Song 'Für ne Frau gut' gemacht. Weil immer so gesagt wurde: Also für ne Frau macht ihr das gut."
Mehr als drei Akkorde und Biertrinken
Mit ironischen Texten gegen das Patriarchat - auch Hollow Skai ist sich sicher, dass Hannover immer ein bisschen politischer war als die entsprechenden Szenen in den anderen Punk-Hochburgen Hamburg, Berlin oder Düsseldorf. Für ihn machte der konstruktive Ansatz hinter dem vermeintlich destruktiven Image den Reiz des Punk aus. "Uns ging es darum, was Neues zu machen. Das Alte musste erstmal weg, um Raum zu schaffen", sagt Skai. "Das ist ja heute in der Kunsttheorie gang und gäbe, das ist ja nichts Neues mehr - aber damals war es eben schon was Neues."
Auch sein Mitstreiter Klaus Abelmann ist Fan der Kraft, die Punk in den jungen Menschen ausgelöst hat. Für den Mit-Herausgeber des Buchs geht die Definition von Punk weit über laute Musik und Schnorren hinaus. "Punk kann alles sein. Und ist vor allen Dingen tatsächlich eine Haltung und nichts, was man vorm Bahnhof mit einer Büchse Bier aussitzt."
Der Bruch der ersten Generation mit der Szene
Wenig verwunderlich, dass das Buch 1983 endet - in dem Jahr, in dem sich Punks und Skins bei den Chaostagen gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei liefern. "Es gab nur noch Jugendliche, die völlig unorganisiert Randale machen wollten. Aber wofür? Wogegen? Das brachte doch nichts", blickt Hollow Skai auf die Zeit zurück. Für ihn waren die Chaostage ein Bruch mit den Idealen, die die erste Generation Punks hatte. Klaus Abelmann und Hollow Skai ließen den Punk hinter sich.
Heute wollen sie in ihrem Buch aber nicht "wie die zwei Opas aus der Muppet-Show sitzen und sagen: Wir waren die ersten, die keine Zukunft hatten". No Future, das Credo der Punks von damals, gelte zum Beispiel im Angesicht der Klimakrise heute mehr denn je. Die Herausgeber hat die kurze, intensive Begegnung mit Punk ein Leben lang geprägt. Annette Benjamin singt auch heute noch in einer Band: Die Benjamins.
Sie alle sind überzeugt, dass die Ideale des Punk auch heute noch eine große Strahlkraft haben. Inspirierende Geschichten zu einer legendären Subkultur an einem unwahrscheinlichen Ort finden sich gesammelt in ihrem Buch "Wie der Punk nach Hannover kam".