Der deutsche Offizier und spätere Widerstandskämpfer in einem 1944 aufgenommen Foto, wahrscheinlich dem Letzten, im Kreis seiner Familie. © picture-alliance / dpa | Hilfswerk 20. Juli
Der deutsche Offizier und spätere Widerstandskämpfer in einem 1944 aufgenommen Foto, wahrscheinlich dem Letzten, im Kreis seiner Familie. © picture-alliance / dpa | Hilfswerk 20. Juli
Der deutsche Offizier und spätere Widerstandskämpfer in einem 1944 aufgenommen Foto, wahrscheinlich dem Letzten, im Kreis seiner Familie. © picture-alliance / dpa | Hilfswerk 20. Juli
AUDIO: Mythos "Stauffenberg-Attentat" - ein Gespräch mit Ruth Hoffmann (26 Min)

Mythos Stauffenberg: Wie das Attentat instrumentalisiert wird

Stand: 17.07.2024 10:38 Uhr

Am 20. Juli jährt sich das sogenannte "Stauffenberg-Attentat" zum 80. Mal. Wie das Stauffenberg-Attentat zum Mythos und als solcher politisch instrumentalisiert wurde, beleuchtet die Hamburger Journalistin Ruth Hoffmann in ihrem Buch "Das deutsche Alibi".

Im Juli 1944 versuchte der Wehrmachtsoffizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg in der Wolfsschanze, Adolf Hitler mit einer Bombe zu töten. Der Anschlag misslang, der engste Kreis der Verschwörer wurde noch in derselben Nacht im Berliner Bendlerblock hingerichtet, der größere Teil am 8. September in Plötzensee. "Der 20. Juli hat einfach schon sehr früh dafür herhalten müssen, zu zeigen, dass nicht alle Deutschen Nazis gewesen sind", sagt Ruth Hoffmann im Gespräch bei NDR Kultur. "Insbesondere hat es in der Wehrmacht auch Offiziere gegeben, die bereit gewesen sind, gegen Hitler aufzustehen."

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"Der Widerstand war wie ein Stachel im Fleisch"

Mindestens 200 Verschwörer und mehreren Tausend Mitwisser standen hinter dem Stauffenberg-Attentat. Im Juli 1944 wollten sie das NS-Regime stürzen und durch eine zivile Regierung ersetzen. Sie galten im Nazi-Reich als "Verräter", aber auch noch Jahre später, sagt Ruth Hoffmann: "Ich glaube, der Widerstand war für die Deutschen eine Zumutung, ein Stachel im Fleisch. Es war eben die Erinnerung daran, dass man sich auch anders hätte verhalten können. Und dass man von den Verbrechen hätte wissen können. Mit beidem wollten sich die Deutschen eigentlich nicht auseinandersetzen."

Es dauerte zehn Jahre, bis die gescheiterten Umstürzler 1954 in der Bundesrepublik - zumindest offiziell - moralisch anerkannt und vom damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss zum "christlichen Adel deutscher Nation" stilisiert wurden. Doch das geschah mit Kalkül und auf Geheiß des damaligen Bundeskanzlers. "Adenauer hat sehr bewusst den Alliierten gegenüber auf den 20. Juli hingewiesen, um zu sagen: Uns kann man wieder vertrauen. Wir haben zwar gerade die ganze Welt überfallen, aber wir können auch wieder eine neue Armee aufbauen, schließlich gab es ja in unserer alten Armee anständige Offiziere," so die Journalistin Ruth Hoffmann. "In diesem Geist sollte dann auch diese neue Armee entstehen. Er hat also auch Überlebende und Leute aus dem Umkreis des Widerstands damit beauftragt, auch inhaltlich die neuen Streitkräfte vorzubereiten."

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Reichsmarschall Hermann Göring (helle Uniform) und der Chef der «Kanzlei des Führers», Martin Bormann (l), begutachten die Zerstörung im Raum der Karten-Baracke im Führerhauptquartier Rastenburg, wo Oberst Stauffenberg am 20. Juli 1944 eine Sprengladung zündete, mit der Absicht Hitler zu töten (Archivfoto vom 20.07.1944). Als am 20. Juli 1944 gegen 12.50 Uhr der Sprengsatz in der «Wolfsschanze» detoniert, ging Claus Schenk Graf von Stauffenberg vom Tod des Diktators aus. Für den Attentäter schien das größte Hindernis für den Sturz der Nazis beseitigt. © picture alliance / dpa Foto:  Heinrich Hoffmann

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"Darstellung wie es gerade in den Kram passte"

Im anderen Teil Deutschlands, in der DDR, wurde der 20. Juli anfangs noch ähnlich gesehen. Doch das änderte sich bald. Ruth Hoffmann: "Per Parteidoktrin wurde dann der kommunistische Widerstand als der einzig wahre dargestellt, und den 20. Juli hat man als den Aufstand von reaktionären Offizieren abgetan, die eigentlich nur ihre eigene Haut retten wollten."

Ruth Hoffmann, die seit Jahren zum Stauffenberg-Attentat und seiner Rezeption recherchiert, hat festgestellt: "Wenn man so will, haben sich im Laufe der Zeit die unterschiedlichsten politischen Gruppierungen immer das aus dem 20. Juli herausgepickt, was ihnen gerade in den Kram passte, und was zu ihrer jeweiligen politischen Agenda oder ihrer jeweiligen Botschaft passte."

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Widersprüchliche Narrative der Neuen Rechten

Auch Helmut Kohl hat es getan, als er in den 1980er-Jahren eine "geistig moralische Wende" ausrief und sich dabei unter anderem auf die Verschwörer rund um Stauffenberg berief. Heute tun es die AfD und die Neue Rechte. "Sie behaupten, sie stünden in der Tradition Stauffenbergs, weil sie Widerstand gegen ein vermeintlich unfreies System leisten", sagt Hoffmann. "Das ist natürlich eine sehr absurde Verdrehung der Begriffe und der historischen Fakten. Gleichzeitig aber sehr klug und sehr klug instrumentalisiert, weil sie auf diese Weise einerseits ihr eigenes Klientel bedienen können. Sie können sagen: 'Wir haben hier einen echten Patrioten, der für Deutschland gestorben ist. Wir sind diejenigen, die wirklich Widerstand leisten gegen dieses System.' Also gleich zwei Narrative, die da wunderbar reinpassen. Andererseits können sie sagen: 'Auch wir legen als gewählte Partei, die im Bundestag sitzt, einen Kranz zum 20. Juli im Bentlerhof nieder und ehren diese Widerstandskämpfer, und werden so unserer demokratischen Pflicht genüge."

Ruth Hoffmann schafft es mit ihrem exzellent recherchierten und eingängig zu lesenden Buch "Das deutsche Alibi" klar vor Augen zu führen: Nicht nur die Verschwörer des 20. Juli hatten unterschiedliche Motive und Weltanschauungen. Auch die Nachwirkungen des "Stauffenberg-Attentats" sind noch vielseitig: So wird am 80. Jahrestag des Geschehens in der Widerstandsgruppe wohl wieder jeder das sehen, was er oder sie darin sehen möchte.

Im Gespräch mit Jürgen Deppe richtet Ruth Hoffmann den Scheinwerfer auf die bislang weitgehend unterbelichtete Nachgeschichte des Stauffenberg-Attentats - wie sie verklärt wurde und politisch genutzt wird. Das ganze Gespräch können Sie online hören.


15.07.2024 12:32 Uhr

In einer früheren Version dieses Artikels wurde Claus Schenk Graf von Stauffenberg irrtümlich als SS-Mitglied bezeichnet. Dies ist nicht korrekt. Vielen Dank an unsere User*innen, die uns darauf aufmerksam gemacht haben. Wir möchten uns für diesen Fehler entschuldigen. Wir haben den Text inzwischen korrigiert. 

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Das Gespräch | 14.07.2024 | 13:00 Uhr

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