"Verstehen, was vor sich geht" Sachbuchpreis verliehen
In Hannover ist zum siebten Mal der NDR Kultur Sachbuchpreis verliehen worden. Die mit 15.000 Euro dotierte Auszeichnung ging an den Journalisten Christoph Reuter. Sein Buch "Die schwarze Macht. Der 'Islamische Staat' und die Strategen des Terrors" hatte die Jury bereits einige Tage vor den Attacken von Paris zum besten deutschsprachigen Sachbuch des Jahres gewählt.
Ein ruhiges Vokalstück von Edward Elgar, glänzend präsentiert vom Ensemble Amarcord, bildete den passenden Auftakt für die Verleihung des Sachbuchpreises 2015, passend auch zum Thema des ausgezeichneten Buches über den sogenannten "Islamischen Staat. Und der Jury-Vorsitzende, NDR Hörfunkdirektor Joachim Knuth, wies in seiner Begrüßungsrede darauf hin, dass die schrecklichen Attentate von Paris bei der diesjährigen Verleihung nicht ausgeblendet werden durften: "Es kann uns nicht einleuchten, dass die Kaperung religiöser Motive für einen wahllos-mörderischen Terror unser Leben in Freiheit bedroht. Aber es ist so. Und so zumutungsvoll das sein mag, wir tun gut daran, verstehen zu wollen, was vor sich geht, warum die Terrororganisation 'IS', der sogenannte 'Islamische Staat', so mächtig hat werden können, dass sich Menschen von weither angezogen fühlen, verblenden und sich zum Mord anstiften lassen." Mit seinem Buch "Die schwarze Macht. Der 'Islamische Staat' und die Strategen des Terrors" trägt Christoph Reuter zu einem solchen Verstehen bei.
Das Zusammenspiel von Chaos und System analysieren
Empathisch und von der Lektüre sichtlich angetan, trug die Schriftstellerin und Journalistin Hilal Sezgin ihre Laudatio vor. Sie lobte Christoph Reuters Kenntnisreichtum und dass er bei der Darstellung auf falsche Vereinfachungen verzichtet habe: "Die Geschichte von Entstehen und Aufstieg des IS ist nun mal nicht stringent, sie hat viele Etappen. Sie verdankt sich einer Mischung aus Chaos und System. Und dieses Zusammenspiel analysiert Christoph Reuter so exakt, dass man beim Lesen immer wieder denkt: Ach, so war das?!“ Auch ein persönliches Anliegen flocht die gläubige Muslimin in ihre Lobrede mit ein - die Bitte, Islam nicht mit Islamismus gleichzusetzen.
Wie der IS den Glauben für sein Macht-Kalkül instrumentalisiert, erklärte daraufhin Christoph Reuter; und er erläuterte, wie die Strategen des Terrors seinen Recherchen zufolge dabei denken: "Wenn wir Dschihad nehmen, wenn wir den Kampf nehmen, wenn wir die Mythen aus 1.400 Jahren nehmen und wenn wir das in islamischer Auslegung ja als heilig vorhandene Gebots-System nehmen: Du darfst nicht den Vertretern Gottes widersprechen. Das ist eine Kombination, die sich wunderbar benutzen lässt."
Opus Primum für Arbeit über die Verschleppungs-Praktiken des DDR-Geheimdienstes
Erschütterndes wusste auch die Historikerin Susanne Muhle von ihren Recherchen zu berichten. Sie erhielt den mit 10.000 Euro dotierten Förderpreis Opus Primum der Volkswagenstiftung für ihre Arbeit über die Verschleppungs-Praktiken des DDR-Geheimdienstes mit dem Titel "Auftrag: Menschenraub". "Es sind von den Entführungsopfern einige zum Tode verurteilt worden“, erleutert Muhle das Schicksal der Entführten. "So finden sich dann in den Stasi-Akten die letzten Briefe an die Familien, die die Familien aber nie erhalten haben. Und das sind natürlich Momente, die einen schon sehr bewegen.“
Die Verleihung des NDR Kultur Sachbuchpreises und des Opus Primum war in diesem Jahr ein besonders intensiver und gedankenreicher Abend, wie es der amerikanische Autor Eric T. Hansen in seinem "Schlusspunkt" formulierte.