NDR Buch des Monats März: "Nach den Fähren" von Thea Mengeler
Auf einer Insel herrschen Stille und Stillstand. Bis eines Tages aus dem Nichts ein kleines Mädchen erscheint. Thea Mengelers Roman "Nach den Fähren" ist eine nahezu perfekte Allegorie auf das Leben.
Dieser Text dröhnt. Es ist ein Dröhnen, das nicht die Ohren betäubt. Es ist das Dröhnen, das in den Magen fährt. Und von dort aus in den Kopf. Dieser Text dröhnt wie das Horn einer Fähre. In aller Stille.
Der Hafen hat lange keine Fähre gesehen, seit Jahren nicht. Die Geschäfte an der Promenade sind geschlossen. (…) Keine Touristen mehr in den Cafés, in den Fischrestaurants, den Bars. Keine Kellner mehr in weißen Hemden, kein Ananasverkäufer am Strand. Keine Schirme. Keine Liegen. Selbst die Möwen, die meisten von ihnen, haben sich aufgemacht zu anderen Ufern, vermüllteren Stränden. Leseprobe
Als plötzlich keine Fähren mehr die namenlose Insel irgendwo im Süden ansteuerten und sommertags massenhaft Touristen ausspuckten, um sie einen "Traumurlaub" später wieder aufzusaugen, verließen die meisten Einheimischen die Insel. Wovon hätten sie auch leben, was hätten sie tun sollen?
Das Verschwinden der eigenen Existenz
Und so sind auf der Insel nur noch einige Übriggebliebene. Namenlose wie der Hausmeister des Sommerpalasts, dem altehrwürdigsten Hotel der Insel. Stoisch geht er weiter seiner Arbeit nach, lüftet er die Zimmer, säubert er den Pool, pflegt er den Garten, versorgt er die Pfauen, die darin herumstolzieren. Der Rest ist verschwunden.
Was verschwindet, ist die Vorstellung einer Zukunft. Was verschwindet, ist die Illusion einer Fortsetzung der eigenen Existenz. Leseprobe
Den paar übrigen Übriggebliebenen geht es nicht anders. Nicht der Doktorin aus Apartment 3B, die als Letzte auf die Insel und dann nicht mehr fort kam. Auch die Frau des Generals, die im gelben Haus ihren dementen Mann pflegt - und hasst. Der Barmann, die Bäckerin, die Krankenschwester, der Soldat, der Hafenwärter - alle warten auf ein Wunder.
Ein kleines Mädchen ändert die Perspektive
Wem gehörte die Insel, fragt Ada vorm Zubettgehen, wem gehört sie jetzt? Er blickt sie an, ohne zu begreifen. Uns sagt er, natürlich uns. Wir waren hier, nicht nur in den Sommern, sondern auch in den kurzen, kalten Wintern. Wir waren die, die blieben. Wir bleiben noch. Sie antwortet nicht und ihm ist, als übersähe er etwas. Leseprobe
Was das sein könnte, das er übersieht, dämmert ihm, nein, fühlt der Hausmeister, als Ada genauso plötzlich verschwindet, wie sie aufgetaucht ist. Sie hat seine Perspektive auf sein Dasein als Übriggebliebenen auf einer einsamen Insel nur um Millimeter verschoben, und in der Folge auch das all der anderen namenlosen Übriggebliebenen - der Doktorin, der Bäckerin, der Frau des Generals. Sie alle haben ihr isoliertes Leben einem Zweck gewidmet. Aber welchem Sinn?
Ein Vermissen ist immer. Es geht nur darum, zu entscheiden, welches Vermissen erträglicher ist. Leseprobe
"Nach den Fähren": Still, klug, kunstvoll
Wie Thea Mengeler Worte für die Fragen nach dem Sinn des Seins findet, ist atemberaubend: so karg und schön wie die Insel, die aus ihren Worten entsteht. So still, so klug, so kunstvoll. Eine nahezu perfekte Allegorie auf das Leben. In "Nach den Fähren" dröhnt die Melancholie des Seins - in aller Stille.
Nach den Fähren
- Seitenzahl:
- 175 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Wallstein
- Bestellnummer:
- 978-3-8353-5585-9
- Preis:
- 20 €