Cover: Kristine Bilkau, "Halbinsel" © Luchterhand
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AUDIO: NDR Buch des Monats: "Halbinsel" von Kristine Bilkau (4 Min)

NDR Buch des Monats April: "Halbinsel" von Kristine Bilkau

Stand: 24.03.2025 06:00 Uhr

Kristine Bilkau stellt sich in ihrem neuen Roman "Halbinsel" existenziellen Fragen. Das gelingt der Hamburgerin mit einer ruhigen, lakonischen, einnehmenden Sprache.

von Alexander Solloch

Beim Preis der Leipziger Buchmesse, der an diesem Donnerstag vergeben wird, ist Norddeutschland prominent vertreten: nicht nur dadurch, dass eine der fünf Nominierten, Kristine Bilkau, aus Hamburg stammt; sondern auch durch den Umstand, dass ihr neuer Roman "Halbinsel" sich tief im Norden verwurzelt, denn bei dieser Halbinsel handelt es sich um Nordstrand in Nordfriesland, nah am Wattenmeer.

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Spielkartenstapel mit Fragezeichensymbol © Fotolia Foto: Brian Jackson

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Jeder von uns lebt einen Roman

"Ich möchte an meiner Straße am Fenster sitzen und glauben, dass jeder, der vorbeigeht, ein Leben lebt. Glücklich oder unglücklich, aber - tief." Dieser Satz der Malerin Helene Schjerfbeck steht im Mittelpunkt eines der früheren Romane von Kristine Bilkau, bestimmt aber eigentlich ihr ganzes bisheriges Werk: Jeder einzelne von uns hat Tiefe, jede einzelne lebt einen Roman. Die Bestimmung der Autorin ist es, ihn freizuschälen: "Man braucht vor allem erst einmal Beobachtungen und Neugier, und man braucht etwas, woran man sich reibt: eine Sehnsucht, einen Mangel oder Fragen, die sich nicht so leicht beantworten lassen. Für mich sind offene Fragen sehr produktiv."

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Was ist das richtige Leben?

Was wird aus uns, wenn unsere Kinder einmal groß sind? Was wird aus den Kindern, nachdem wir sie entlassen haben in eine immer unfreundlichere Welt? Wie sehr steht die innige Fürsorge fürs Kind seiner Freiheit im Weg? Was ist das richtige Leben, und wieviel Falschheit lässt sich darin ertragen? Das sind die Fragen, die Kristine Bilkaus Ich-Erzählerin umtreiben, Annett ist Ende 40, stellvertretende Leiterin der Stadtbibliothek einer Kleinstadt, bei der es sich um Husum handeln müsste. Vor 20 Jahren hat sie ihren Mann verloren, eine Herzattacke riss ihn aus dem Leben, mit 32. Still schaut sie sich nun ihre Tochter an und schüttelt den Kopf:

Fünfundzwanzig würde sie diesen Winter werden, alle diese Jahre, diese gesamte Zeit schien mir so überschaubar, so verschwindend schnell vergangen, als stünde ich an einer Bahnschranke und ein Zug rast vorbei, da kommt er, da ist er, da fährt er, und dann höre ich nur noch sein Rauschen aus der Ferne wie ein Echo. Schwanger werden, ein Kind zur Welt bringen, den Partner verlieren, das Kind großziehen, es davongehen sehen, diese Jahre: hier, das sind sie gewesen, und hier, das sind die Fehler, die du gemacht hast. Leseprobe

 

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Die Rückkehr der Tochter wird zu einer Herausforderung

Kristine Bilkau erzählt die Geschichte eines langen Sommers an der Nordsee. Völlig unerwartet ist Annetts Tochter ins heimatliche Dorf auf der Halbinsel zurückgekehrt. Nach dem Abitur war Linn mit rauschhafter Ambition ins Erwachsenenleben geflogen, hatte die Welt gesehen, ihr Studium schnell und erfolgreich durchgezogen, in Berlin einen vielversprechenden Job bei einem Unternehmen für Umweltberatung angenommen.

Dann aber ist sie während eines Vortrags in einem Hotel in Nordbrandenburg zusammengebrochen: ein Schwächeanfall. Im Elternhaus auf der Halbinsel soll sie sich auskurieren, Annett freut sich, sie endlich wieder ganz nah bei sich zu haben. Aber bald schon steigt eine Spannung auf, die Spannung zwischen Sicherheit und Zerbrechlichkeit, die das Leben auf einer Halbinsel charakterisiert: Da ist zum einen die unbändige Liebe für die Tochter, zum anderen die zunehmend ungeduldige Erwartung, dass sie sich bald mal wieder aufrappelt und so ehrgeizig wie je weitermacht. Linn aber verweigert sich:

"Ab morgen arbeite ich zweimal die Woche beim Bäcker", sagte Linn, während sie die Einkäufe hereintrug.
"Wie? Was meinst du damit?", fragte ich.
"Bei Diekmann, hier im Ort."
"Du meinst - an der Theke verkaufen?"
"Was ist nicht in Ordnung mit einer Bäckerei?"
"Nichts, ich meine alles. Alles ist damit in Ordnung."
Aber du sollst da nicht arbeiten, dachte ich. Annett, was bist du so borniert?, hörte ich Johann sagen. Leseprobe

Kann die Vergangenheit einen Weg in die Zukunft zeigen?

Johann, der lange verstorbene Gefährte, als innere Stimme immer noch lebendig, als Mahner zu Gelassenheit. Versteh dein Kind, versteh dich selbst. Alles Gerede von Klimaschutz ist, solange die kapitalistische Logik herrscht, nichts als Heuchelei - da will Linn nicht mehr mitmachen, sie braucht die Nische, wer bräuchte sie nicht? Da ist dieser neue Nachbar, Levin, ungefähr so alt wie Johan, als er starb - lässt sich in der Gegenwart an altem Glück anknüpfen? Kann die Vergangenheit einen Weg in die Zukunft zeigen? Warum eigentlich nicht?

Es grenzt an ein Wunder, wenn man geliebte Menschen um sich hat und sie nicht zu früh verliert. Ein noch größeres Wunder ist es, wenn es einem mehrmals im Leben gelingt, jemanden zu finden, der es gut mit einem meint.

Mit einer ruhigen, lakonischen, einnehmenden Sprache fängt Kristine Bilkau das Existenzielle ein, das darin besteht, jemanden zu lieben und sich um jemanden zu sorgen; wie magisch das ist und wie brutal. Und sie zeigt wieder einmal: Jeder von uns lebt einen Roman. Wer Glück hat, bekommt ihn geschrieben von Kristine Bilkau.

Halbinsel

von Kristine Bilkau
Seitenzahl:
244 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Luchterhand
Bestellnummer:
978-3-630-87730-3
Preis:
24 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 24.03.2025 | 12:40 Uhr

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