Zum Muttertag: Welche literarische Mutter lässt Dich nicht mehr los?
Von der griechischen Mythologie bis heute prägen Mütter die Literaturgeschichte. Die NDR Literaturredaktion stellt fünf literarische Mütter vor.
Margaret Atwood: "Der Report der Magd"
Amerika in naher Zukunft: Es ist eine kranke, ekelhafte Welt, in der sich die junge Desfred einem absurden, menschenfeindlichen Regelwerk fügen muss. Während die meisten Frauen unfruchtbar sind, werden die letzten, die noch Kinder bekommen können, als Mägde versklavt und zur Mutterschaft gezwungen. Reiche nehmen sich dann die ausgetragenen Kinder. Perfide. Die Lage scheint aussichtslos. Alle machen mit. Ansonsten wird hart bestraft. Doch Desfred organisiert im Untergrund Widerstand.
Die Kanadierin Margaret Atwood hat mit ihrer Dystopie "Der Report der Magd" eine bemerkenswerte, feministische Mutterfigur geschaffen. Eine, die hinterfragt, die andere Frauen mitzieht - die kühn, kraftvoll und schlau rebelliert, findet Juliane Bergmann.
Fatma Aydemir: "Dschinns"
"Dschinns" von Fatma Aydemir, einer der großen literarischen Erfolge im vergangenen Jahr: Ich habe durchaus gehadert mit diesem Roman, der die Geschichte einer aus der Türkei stammenden Gastarbeiterfamilie, nein - die Geschichte der einzelnen Glieder dieser Familie erzählt. Mir war der Text stellenweise zu kalkuliert gebaut, zu viel Reißbrett, zu wenig Intuition, dachte ich mittendrin.
Aber dann - die große, die radikale Erschütterung am Schluss, das dramatische Finale, in dem die älteste Tochter Sevda ihrer Mutter Emine vorwirft, sie verraten zu haben, ihr Schulbildung vorenthalten zu haben, sie in eine schlimme Ehe gezwungen zu haben, überkommene Traditionen wichtiger genommen zu haben als das Lebensglück ihrer Kinder. Eine Kaskade von Vorwürfen - und jeder einzelne trifft wahrscheinlich zu. Und doch habe ich am Ende unter Tränen gefühlt mit der armen Mutter, mit ihr gelitten, hätte sie gern in den Arm genommen, weil es eben nicht leicht ist, stark zu sein - und sie hätte bärinnenstark sein müssen. Wer schafft das denn schon? Und also doch: "Dschinns" von Fatma Aydemir ist große Literatur, findet Alexander Solloch.
Euripides: "Medea"
Medea-Gedanken zum Muttertag? Meine eigene Mutter möge es mir bitte nachsehen. Aber Medea, diese 2000 Jahre alte Erfindung des griechischen Dichters Euripides, ist und bleibt die verblüffendste, weil schockierendste Muttergestalt der abendländischen Literatur. Wie sich Liebe und Hingabe in Hass verwandeln kann, dafür steht diese Medea, die Mutter, die aus Wut auf ihren untreuen Mann die eigenen Kinder tötet. Wie kann das sein?
Erklärungen suchen Textexegeten und Künstler, allen voran Theaterleute, bis heute. Immer noch gehört dieser antike Stoff zu den oft gespielten Stücken auf deutschsprachigen Bühnen. Pasolini konnte für seine Medea-Verfilmung sogar Maria Callas gewinnen. Alle Klischées von unerschütterlicher Mutterliebe führt diese mythische Gestalt ad absurdum. Selbst die bösesten Stiefmütter aus den Grimm'schen Märchen bekommen an der Seite Medeas noch einen Heiligenschein. Die Gefahr lauert immer in der Nähe. Wenn Mütter nicht gut behandelt werden, dann - so lehrt es Euripides - Gnade uns Gott. Also lasst uns den Müttern ein Loblied singen, ruft Joachim Dicks.
Daniela Dröscher: "Lügen über meine Mutter"
Oft werden Mütter in der Literatur ja als makellose Wesen dargestellt, die von ihren Kindern angehimmelt und verehrt werden. Im vergangenen Jahr aber betrat eine ganz andere Mutter die literarische Bühne: Daniela Dröscher beschreibt in ihrem Roman eine dicke Mutter. Eine für die sich die Tochter im Freibad auch mal schämt.
"Lügen über meine Mutter" ist ein autofiktionaler Text, erzählt aus der Perspektive eines Kindes namens Daniela. Die Mutter wird vom Vater auf ihr Gewicht reduziert, heruntergeputzt, wenn sie wieder zugenommen hat. Eine Sichtweise, die auch auf die Tochter abfärbt. Aber rückblickend betrachtet ist die Mutter schön, stark, mutig und vor allem immer selbstbestimmt. Eine literarische Mutter, die lange im Gedächtnis bleibt, findet Maren Ahring.
Erich Kästner: "Das fliegende Klassenzimmer"
"Wenn du sie heuer nicht schreibst, kriegst du nichts zu Weihnachten!" - Das waren noch Zeiten, als die Schriftsteller taten, was ihre Mütter anordneten! Und weil man Weihnachtsgeschichten ja nur mit Blick auf Schnee schreiben kann, kauft Mutter Kästner ihrem Sohn auch gleich noch ein Zugticket. So beginnt "Das fliegende Klassenzimmer".
Mit Blick auf die Zugspitze schreibt der Autor diese anrührende Geschichte, eine Art Internats-Utopie mit empathischen, gerechten Lehrern und fleißigen, solidarischen Schülern, die eine ideale Schulgemeinschaft bilden. Das war 1933. Erich Kästner stand daneben, als im selben Jahr seine Bücher verbrannt wurden, und im "Fliegenden Klassenzimmer" sind es nur Diktathefte, die in Flammen aufgehen. Kästner hat Deutschland nicht verlassen, er blieb - auch seiner Mutter wegen. Wenn sie, so war wie die Mütter in seinem Buch: Ich versteh’s - sagt Anna Hartwich.