"Verzauberte Vorbestimmung": Leben dank oder trotz Maschinen?
Jonas Lüscher verdankt sein Überleben der Medizintechnik, dennoch sieht er Maschinen kritisch in seinem Roman "Verzauberte Vorbestimmung". Bei "Der Norden liest" hat er am Dienstag im Literaturhaus Hannover daraus gelesen.
Zu Maschinen hat der gebürtige Schweizer Jonas Lüscher ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits faszinieren sie ihn. Er selbst besitzt eine Werkstatt mit allerlei Fräsen, Metalldrehmaschinen und Werkzeug, mit dem er Maschinen repariert. Andererseits sieht er sie kritisch. Das Mensch-Maschine-Verhältnis ist für ihn eine politische und gesellschaftliche Frage. "Gerade die Frage der KI ist so entscheidend, weil sich Technologien seit der Frühindustrialisierung nicht deswegen weiterentwickeln, weil sie uns per se weiterbringen oder uns zu besseren Menschen machen oder uns zu einem erfüllteren Leben führen, sondern weil sie die Produktivität erhöhen", sagt Lüscher
Überleben dank Medizintechnik
![Der Schriftsteller Jonas Lüscher stützt sich mit dem Kinn auf seine Hände und schaut dabei nachdenklich zur Seite. Der Schriftsteller Jonas Lüscher stützt sich mit dem Kinn auf seine Hände und schaut dabei nachdenklich zur Seite. © Peter-Andreas Hassiepen Foto: Peter-Andreas Hassiepen](/kultur/buch/luescher102_v-contentgross.jpg)
Doch ganz so einfach ist das Mensch-Maschine-Verhältnis für den 48-Jährigen selbst nicht. 2020 erkrankte er schwer an Corona, lag wochenlang im Koma. Sein eigenes Überleben war am Ende der Medizintechnik zu verdanken. Doch bis diese existenzielle Erfahrung auch im Buch auftaucht, müsse man bis Seite 240 lesen, erklärt der Autor. "Die Idee war schon vorher da, ein Buch zu schreiben über Mensch-Technik-Beziehungen. Irgendwann musste ich natürlich zugeben, dass es intellektuell nicht redlich wäre, ein Buch über Mensch-Technik-Beziehungen zu schreiben, in dem es viel auch um Technik-Kritik geht ohne zuzugeben, dass ich mein Überleben der Technik zu verdanken habe. Ab dem Moment, wo ich wusste, dass ich das eigentlich tun muss, habe ich mich in dieses Buch mit hineingeschrieben."
Ich-Erzähler verbindet Mensch-Maschine-Geschichten
Als Ich-Erzähler verbindet Jonas Lüscher so die fünf Teile seines Romans, Erzählungen über Mensch-Maschine-Verbindungen in verschiedenen Ländern und Zeiten. Es geht um einen algerischen Soldaten im ersten deutschen Giftgasangriff im Ersten Weltkrieg, einen französischen Briefträger, der mit der Technik des Steineaufschichtens einen Traumpalast errichtet und Weber in Böhmen, die gegen ihre Ausbeutung aufbegehren.
Wir zerschmettern die Maschinen mit Hämmern, schrie der Kleine, mit Enochs Hämmern. Dieser Vorschlag wurde euphorisch angenommen. Die Maschinen zerschlagen, ausgerechnet mit Enochs Hämmern. Damit werde man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wie Abel anerkennend zugab. Nicht nur, dass man damit die Maschinen loswerde. Nein, man hätte damit auch gleich Enoch bestraft, den Schmied, der sich nicht zu schade war, die Maschinen der Herrschaften wenn nicht selbst herzustellen, so doch einzurichten, am Laufen zu halten und zu reparieren. Leseprobe: "Verzauberte Vorbestimmung"
Das Unklare und Zwiespältige aushalten
Die Erzählperspektiven wechseln, die Zeiträume - auch in den kurzen Passagen des Abends muss das Publikum gedanklich hin- und herspringen. Das entspräche nicht zuletzt dem Oszillieren, das er mit seinem Schreiben erreichen wolle. Es ist ein Abbild unserer komplexen Zeiten. "Es ist die Herausforderung - und das ist vielleicht auch die Herausforderung für die Leser:innen des Buches - dass diese Geschichten eben auch nicht immer zusammenpassen und keine klaren Antworten liefern, sondern dass man das Unklare, Zwiespältige aushalten und damit umgehen muss", so der Autor.
Das ganze Gespräch mit Jonas Lüscher können Sie am 9. März um 20.00 Uhr in der Sendung "Sonntagsstudio" auf NDR Kultur hören.
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