200. Todestag Jane Austen: Verstand und Gefühl
von Stephanie Pieper, ARD-Studio London
Die englische Schriftstellerin Jane Austen hat sechs Romane geschrieben. Geboren wird sie am 16. Dezember 1775. Sie wächst als eines von sieben Geschwistern im Pfarrhaus von Steventon auf - und stirbt am 18. Juli 1817 in Winchester. Bis heute ist sie der beliebtesten Schrifstellerinnen Großbritanniens. Ein Porträt.
Die Kirche St. Nicholas in Steventon ist schlicht und klein, höchstens hundert Gläubige finden auf den Holzbänken Platz. George Austen zieht im Jahr 1768 mit seiner Frau und den bis dahin drei Söhnen in dieses 250-Seelen-Dorf in Hampshire, als er die Stelle des Pfarrers antritt. Während ihrer Kindheit und Jugend nimmt Jane Austen fast jeden Sonntag am Gottesdienst teil. Auch deshalb ist diese Kirche bis heute bei jungen Frauen besonders beliebt für Hochzeiten, sagt Julian Pilcher, der im Pfarrgemeinderat von Steventon sitzt: "Dies ist wohl ein romantischer Ort", meint der 80-Jährige. Das Pfarrhaus von Steventon, Janes Geburtshaus, steht heute nicht mehr; es wird im 19. Jahrhundert nach einem Hochwasser abgerissen.
Enge Beziehung zur Schwester Cassandra
Besonders eng ist Zeit ihres Lebens Austens Beziehung zu ihrer einzigen Schwester, der zwei Jahre älteren Cassandra. Sie geht gern und oft in der hügeligen Landschaft spazieren - wie viele ihrer Heldinnen auch. Das erzählt die US-Amerikanerin Linda Sennett, die mit ihrem britischen Mann seit 20 Jahren hier lebt, und natürlich Austen-Fan ist: "Sie kannte jeden im Dorf, nahm an gesellschaftlichen Anlässen teil. Die Familie Austen war zwar nicht wohlhabend, hatte aber durch ihre reichen Verwandten beste Verbindungen und bewegte sich deshalb in höheren gesellschaftlichen Kreisen als andere."
Großer Spaß am Spiel mit der Sprache
Es ist damals keineswegs selbstverständlich, dass George Austen auch seine beiden Töchter ermuntert, sich zu bilden und viel zu lesen. Nicht nur historische oder wissenschaftliche Werke, sondern auch Romane, ein noch recht neues Genre. Die Familie führt überdies gern kleine Theaterstücke auf. Schon früh entdeckt Jane, wie viel Spaß es ihr macht, in andere Rollen zu schlüpfen, sich Dialoge und Szenen auszudenken, mit Sprache zu spielen: "Sie hat hier in dieser Umgebung begonnen zu schreiben: 'Stolz und Vorurteil', 'Die Abtei von Northanger' und 'Verstand und Gefühl'. Von ihren Nachbarn umgeben hatte sie viel Gelegenheit, Menschen zu beobachten und über sie zu schreiben."
Anders als etwa die Brontë-Schwestern flüchtet sie sich beim Schreiben nicht in eine Fantasiewelt, sondern bewegt sich dicht an der Realität. Allerdings karikiert und parodiert sie ihre Mitmenschen, deren Beziehungen und auch die herrschenden Verhältnisse nach Herzenslust.
Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein alleinstehender Mann, der ein beträchtliches Vermögen besitzt, einer Frau bedarf. Leseprobe
Dies ist der berühmte erste Satz von "Stolz und Vorurteil". Gleich im ersten Kapitel charakterisiert Austen gnadenlos das Ehepaar Bennet, das für seine fünf Töchter nach einer guten Partie sucht - eine Lebensaufgabe vor allem für Mrs. Bennet:
Mr. Bennet bestand aus einer so seltsamen Mischung aus gelegentlicher Heftigkeit, Schlagfertigkeit, sarkastischem Humor, Zurückhaltung und Kaprice, dass die Erfahrung von dreiundzwanzig Ehejahren für seine Gattin nicht ausgereicht hatten, sein Wesen zu begreifen. Das ihre war weniger schwer zu ergründen. Sie war eine Frau von geringer Einsicht, wenig Kenntnissen und launenhafter Gemütsart. Leseprobe
Pseudo-Kultivierte sind Austen ein Graus
Als der Pfarrer George Austen 1801 in den Ruhestand geht, siedelt er seine Familie überraschend in den Kurort Bath in Somerset im Südwesten Englands um. Darüber ist seine damals 25-jährige Tochter Jane alles andere als begeistert. Sie fühlt sich nicht mehr so frei wie in Steventon, eingeengt von den Konventionen. Die große Auswahl an Geschäften allerdings gefällt Austen durchaus, denn sie interessiert sich für Mode und liebt es zu shoppen. Sie tanzt auch gern, besucht Konzerte und geht ins Theater. Doch das Publikum sagt ihr nicht zu: vor allem Adelige und Neureiche - Menschen, die sich für fein und kultiviert halten, es aber in ihren Augen nicht sind.
Dass sie Bath trotz seiner Schönheit nicht sonderlich wohlgesonnen ist, mag auch damit zu tun haben, dass hier im Jahr 1805 ihr geliebter Vater stirbt - und dass sie danach ihren gesellschaftlichen Abstieg erlebt.
Ein Leben lang ungebunden
Jane und ihre Schwester Cassandra heiraten nie und bleiben deshalb auf die Unterstützung ihrer Familie angewiesen - erst von ihrem Vaters, später von ihren Brüdern. Im Laufe ihres Lebens verliebt sich Jane zwar und bekommt auch mehrere Heiratsanträge, entscheidet sich aber jedes Mal gegen den Bund der Ehe. Gut so, findet Kathryn Sunderland, Professorin für englische Literatur an der Universität Oxford und Austen-Expertin: "Sie schätzte ihre Unabhängigkeit und ihren Freundeskreis aus interessanten und starken Frauen. Aber sie hat einen Preis dafür gezahlt: Sie war abhängig von der Gnade anderer und lebte in prekären Verhältnissen."