"Stadt. Land. Dorf.": Ein ehrlicher Blick aufs Landleben
Der neue Bildband "Stadt. Land. Dorf. Betrachtungen zwischen Rollrasen und Heuballen“ unternimmt eine Reise zum Sehnsuchtsort Land - aber völlig anders als von Städtern gedacht.
Das Titelbild ist eine Ansage: "Stadt. Land. Dorf." steht da, wobei das Wort "Stadt" fett durchgestrichen ist. Auf giftgrünem Hintergrund eine verblasste Fotografie mit Ackerfurche, matschiger Wiese, dahinter Einfamilienhaus-Würfel: Schön ist anders.
Der Traum vom Land? Von wegen!
Hier haben sich zwei preisgekrönte Fotografen und eine Autorin zusammengetan, alle drei um die 30 Jahre alt, um "Betrachtungen zwischen Heuballen und Rollrasen" anzustellen, wie es im Untertitel heißt. Hermann Hirsch, Jan Leßman und Eva Reisinger. Die Kapitel des kompakten Bildbands tragen Titel wie aus dem Werkzeugkasten: "Gummistiefel", "Auto" oder "Hochsitz". Kurze Texte stimmen jeweils auf das Thema ein:
Die Ballen sehen aus wie Elefanteneier, und weil sie so gut eingepackt sind, lässt man sie gleich neben den Feldern liegen, neben dem Stall. An der Straße. Oft steht auf ihnen noch eine Werbung für die nächste Wahl. Weil sie schon mal da sind. Leseprobe
Und dann taucht man ein in eine Wirklichkeit, die jedem Traum vom Land widerspricht. Grafisch präzise Feldkanten, ein Rapsfeld als grellgelbe Linie vor blauem Horizont, quer über zwei Seiten. Solaranlagen, Strommasten, Kaliberge. Rollrasen wird zwischen weißen Bungalows verlegt, im Supermarkt stehen prallvolle Regale. Die Fotografien scheinen wie verwaschen, verblasst.
Eine Geschichte von Werden und Vergehen
Ich verbrachte mehr Stunden in Garagen, Kellern, Einfahrten, Hütten, ja sogar unter Carports als in meinem Zimmer. Auf diese Art feierten wir Geburtstage, Feste und grundsätzlich jeden Freitag- und Samstagabend. Dort war es egal, ob es draußen regnete oder schneite. Und meistens auch, ob wirklich schon alle alt genug für Alkohol waren. Leseprobe
Sehr eindrucksvoll ist ein Kapitel mit dem Titel "Leberwurst": Da weiden Schafe auf einer wilden und ungemähten Wiese - "endlich!", denkt man beim Blättern. Landidylle! Schön. Eine Seite weiter aber wird einem Tier der Bolzen an den Schädel gedrückt, dann hängen zwei Kadaver in einer Garage, das Fell abgezogen. Am Schluss: ein Leberwurstbrot auf rundem Teller, von oben, quer darüber fällt ein Schatten. So geht eine Geschichte von Werden und Vergehen.
Jugend auf dem Dorf
Diese Bilder zeigen Hässlichkeit, versiegelte Böden, insektenlose Einöde. Nein, schwelgen lässt sich in diesem Bildband wirklich nicht, der manchmal wie ein ironischer "Landliebe"-Häcksler daherkommt. Die Sehnsucht wohlhabender Städter wird gekonnt ausgehebelt. Stattdessen künden die nüchtern-poetischen Prosatexte Eva Reisingers von einer Jugend auf dem Dorf, wo die Kaugummikugel aus dem Automaten das höchste Glück bedeutete:
Allein der Gedanke an das Geräusch, das folgende Rumpeln, da richten sich die Härchen auf meinem Oberarm auf. Heraus kam eine steinharte Kugel, die sich erst im Mund langsam erweichte. Selbst wenn der Automat gerade erst frisch befüllt worden war - die Kugeln waren immer steinhart. Dieses Knacksen zwischen den Zähnen, wieder Gänsehaut. Leseprobe
Ein ehrlicher Blick auf das Leben auf dem Land
Beim Blättern entstehen Geschichten im Kopf. Von Saufpartys auf Garageneinfahrten. Vom Dorfkarneval mit Kamelle, heimlichen Küssen im Maisfeld. Da winkt eine Weinkönigin von ihrem Prunkwagen, ihren Rücken schmückt eine wilde Tätowierung. Drei nackte Frauen trinken im Gegenlicht ein Bier am Weiher. So geht Land, so geht Dorf. Es ist ein ehrlicher Blick auf 83 Prozent der Fläche unseres zersiedelten Landes.
Besonders geglückt sind die Nachtansichten, wo ein Käuzchen zwischen knorrigen Kirschbaumzweigen zwinkert, ein schattenhaftes Pferd vorüberrennt. Wo der Schnee aufs platte Land fällt, schwer und nass. Da scheint ein Geheimnis durch die Seiten des Bildbandes hindurch zu gucken.
Am Ende gibt es kunstvoll überblendete Schnappschüsse, ein nachbarschaftliches Idyll beim Fischfang, eine Katze lauert hungrig über den Gräten. Hier ist Leben möglich, sogar Glück. Zwischen Beton, Windrädern und dem Bus, der am Horizont vorbeifährt - zweimal am Tag.
Stadt. Land. Dorf. Betrachtungen zwischen Rollrasen und Heuballen
- Seitenzahl:
- 192 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Knesebeck
- Bestellnummer:
- 978-3-95728-507-2
- Preis:
- 32 €