Sehnsucht nach dem Nichtstun: "The Big Lebowski" als Vorbild?
Unsere Sehnsucht nach Nichtstun ist groß. Doch auf keinen Fall wollen wir unsere Zeit verschwenden. Warum Langeweile ambivalente Gefühle auslöst, erklärt Medienwissenschaftlerin Michaela Krützen im Podcast Tee mit Warum.
Langeweile kann ein politisches Statement sein, ein erstrebenswertes Lebensziel oder gesellschaftlich geächtet - je nachdem, in welcher Zeit wir leben. In ihrem Buch "Zeitverschwendung" analysiert die Medienwissenschaftlerin Michaela Krützen Sehnsuchtsfiguren der Langeweile in Film und Literatur in verschiedenen Epochen. Über den Umgang mit Leerlauf und seinen Stellenwert in der Gesellschaft diskutiert die Professorin der Hochschule für Fernsehen und Film in München im Podcast Tee mit Warum. Einen Auszug des Gesprächs lesen Sie hier, das ganze Gespräch hören Sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum.
Schönen guten Tag, Frau Krützen. Wir freuen uns, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit uns zu sprechen. Sie sind Professorin an der HFF (Hochschule für Fernsehen und Film) München. Hat man als Dozentin manchmal Angst zu langweilen?
Michaela Krützen: Ja, ich habe panische Angst davor. Ich bin jetzt 35 Jahre im Beruf. Eigentlich müsste man denken, dass ich bei einer Vorlesung über Neorealismus morgens frohgemut und pfeifend in den Hörsaal schreite. Aber ehrlich gesagt mache ich mir immer noch ins Hemd und schlafe schlecht und träume davon, dass keiner kommt, weil ich Angst habe, dass das nicht mehr funktioniert, die zu begeistern. Wenn in einem neorealistischen Film über zwei Stunden ein geklautes Fahrrad gesucht wird, muss man hinterher den Saal irgendwie rocken. Dass die begeistert sind und sich eine Tür aufmacht in etwas ganz Tolles. Dass das nicht gelingt, dass der Saal mich mit toten Augen anguckt, ist eine echte Horrorvision von mir, und es geht auch nicht weg. Das habe ich mein Leben lang.
Sie unterrichten Filmschaffende. Natürlich ist das Kino ein Ort, der gefüllt wird mit Geschichten, mit Ideen, die möglichst nicht langweilen sollen. Oder dürfen sie das?
Krützen: Langweilen sollen sie in der Tat nicht. Aber ich habe es mit Menschen zu tun. Für die ist alles, was vor 2010 ist, Filmgeschichte. Das ist auch okay, sie sind jung. Wenn man sie mit dem Kino der Moderne konfrontiert, etwa mit "Solaris" von Andrei Tarkowski, drei Stunden auf einer Raumstation, wird es schwierig. Mittlerweile habe ich einen Trick, wie ich das hinkriege, dass die Erwartungen nicht so sind, dass auf der Raumstation "Star Wars" passiert und dass die Langeweile ausbleibt.
Ich halte mittlerweile eine kleine Vorrede und sage, "Sie müssen jetzt eine andere Körperhaltung einnehmen. Wir sind drei Stunden hier, machen Sie sich mal weich und locker. Schauen Sie sich das nicht an, indem sie denken, gleich startet die Handlung, sondern gucken Sie auf die Gräser, die da gleich zu sehen sind. Sie gucken sich an, wie der Raum ausgestattet ist, und Sie gucken das so an, wie sie ins Feuer gucken würden. Ich verspreche Ihnen, dass etwas mit ihnen passiert." Seitdem ich das vorweg sage, geht es. Wenn man Action erwartet, ist man gelangweilt. Aber wenn man denkt, das ist wie aufs Meer gucken, dann funktioniert das. Dann ist das nicht mehr langweilig, obwohl es eigentlich langweilig ist.
Was lernen wir von Filmfiguren über die Zeit und auch über die Langeweile?
Krützen: Das eine Riesenfrage. Wir können etwas herausgreifen, sonst fange ich an professoral zu schwadronieren. Es ist nicht eindeutig, was Zeitverschwendung ist. Wir wollen das gern definieren, das haben wir so gelernt. Wenn man sich Filmfiguren oder Romanfiguren anguckt, dann stellt man fest, dass sich immer wieder verändert, was als Zeitverschwendung gilt.
Über Jahrtausende galt geldwerte Arbeit als wirklich zu verachten. Plötzlich - und das beschreibt der Roman "Oblomow" - wird geldwerte Arbeit zum höchsten Gut, und alle, die nicht geldwert arbeiten, sind Zeitverschwender. So etwas macht ein wenig demütig gegenüber dem Satz: "Wer seine Zeit verschwendet ...", weil wir genau wissen, dass sich die Bewertung von dem, was Zeitverschwendung ist, immer wieder verändert. Darum bin ich vorsichtig, wenn ich mit jüngeren Menschen rede und die andere Vorstellungen davon haben, was Zeitverschwendung ist. Ich kann sehen, dass sich im Laufe der Jahrhunderte mehrfach verändert hat, was wir denken, was Zeitverschwendung ist.
Sogar in diesem kurzen Zeitraum der letzten 200 Jahre, den sie in Ihrem Buch analysieren, gibt es starke Veränderungen. Sie zeigen, dass die Zeitverschwendung wesentlich das Verhältnis von Gesellschaft zu Arbeit kennzeichnet. Inwieweit hat sich in den letzten 200 Jahren das Verständnis von Zeitverschwendung gewandelt? Am Beispiel der Gammler etwa, eine Ihrer Lieblingsfiguren?
Krützen: Der Gammler war einmal eine politische Figur. Jemand, der gammelte, tat das nicht unbedingt nur, um seine Zeit zu verschwenden, sondern auch als Manifestation gegen die bürgerliche Spießergesellschaft. Lange Haare und eine Zigarette oder meinetwegen den Joint - der Hippie, der Gammler, die Hippie, die Gammlerin, die taten das als Statement gegen die Leistungsgesellschaft, gegen das Wettrüsten und so weiter. 20 Jahre später ist man nur noch ein Zeitverschwender, weil das kein Statement mehr ist. Das heißt, selbst bei so etwas wie Herumhängen oder Abhängen verändert sich, wie wir denjenigen oder diejenigen, die das tun, beurteilen. Vielleicht kommt jetzt wieder die große Zeit der Rumhänger.
Eine bekannt Filmfigur, die eine wichtige Rolle in Ihrem Buch spielt, ist "The Big Lebowski". Dieser Gammler ist geradezu zu einer Ikone geworden. Es gibt sogar einen Tag des Dude: Der 6. März ist der Tag, an dem "The Big Lebowski" gefeiert wird. Wie kommt es zu so etwas?
Krützen: Diese Verehrung leisten wir uns in einem Leben, in dem wir nicht auf der Bowlingbahn herumhängen und keine Strickjacken tragen. Es gibt tatsächlich Lebowski-Feste, wo man sich so ein Kostüm anzieht, und es gibt Merchandising. Wenn wir den Film sehen, nehmen wir uns eine Auszeit von unserem ganz normalen Leben, wo wir Geld verdienen, die Kinder zur Schule fahren und so weiter.
Das heißt, es ist eine Vision da von einem anderen Leben, was möglich wäre. Wir verehren Lebowski, weil er dabei so charmant ist. Der tut niemandem etwas und ist so verpeilt und vertrödelt, ähnlich wie der schon von mir erwähnte Oblomow, der auch nur auf dem Sofa liegt. Man hat eine gewisse Verliebtheit ihn diese Figur in dem Wissen, dass man niemals so leben wird.
Die Fragen stellten Denise M'Baye und Sebastian Friedrich. Das ganze Gespräch hören Sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum.