"Picasso malt Picasso": Eine Biografie in Selbstbildnissen
Der Kunsthistoriker Pascal Bonafoux hat kunsthistorische Detektivarbeit geleistet: In seinem Buch stellt er rund 170 - zum Teil kaum bekannte - Selbstporträts von Picasso zusammen.
Eine Sprachregel besagt: Superlative sollte man tunlichst vermeiden. Im Fall von Picasso ist das allerdings schwierig: Er war - da muss man den Superlativ verwenden - der berühmteste Künstler des 20. Jahrhunderts. Schon zu Lebzeiten wurde sein Haus von Touristen belagert. Und weil Picasso nicht nur alt geworden ist, sondern auch ungeheuer produktiv war, hat er ein Werk hinterlassen, das an Umfang seinesgleichen sucht. Man sollte meinen, 50 Jahre nach seinem Tod seien alle Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, Druckgrafiken, Keramiken und Fotografien wissenschaftlich untersucht und veröffentlicht worden. Aber mitnichten. Der Kunsthistoriker Pascal Bonafoux überrascht mit einem Buch, das sich einem wenig erforschten Kapitel des Oeuvres widmet: den Selbstporträts.
Picasso: Keine simplen Interpretationen möglich
"Picasso" steht in großen weißen Lettern auf der Mütze einer Figur im Matrosengewand, die der Künstler 1938 malte. Ein zeitgenössischer Kritiker hielt das Bild für ein Selbstporträt. Und er fühlte sich bestätigt, als der Maler ihm versicherte: "Ja, das bin ich." "Aber warum als Matrose?", wollte der Kritiker wissen. "Weil ich immer ein Matrosenhemd trage", erwiderte der Künstler und präsentierte sein blau-weiß gestreiftes Trikot.
Hätte der Kritiker sich gefragt, warum Picasso sich selbst mit gelb-blondem Haarschopf darstellt, wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass der Maler sich über ihn lustig macht. Heute wird das Bild in den meisten Publikationen unter dem Titel "Maya im Matrosenkleid" geführt. Denn vieles spricht dafür, dass Picasso auf dem Gemälde seine Tochter porträtiert hat. Die kleine Maya war damals drei Jahre alt.
Buchautor Pascal Bonafoux erzählt die Anekdote, um klarzumachen, dass man dem Künstler mit simplen Interpretationen nicht gerecht wird. "Wer Gemälde erklären will, ist meist auf dem Holzweg", soll Picasso im Gespräch mit einem Sammler gesagt haben. "Gertrude Stein hat mir kürzlich freudig kundgetan, sie habe endlich verstanden, was mein Bild darstellen soll: drei Musiker. In Wirklichkeit war es ein Stillleben!"
Kritzeleien, Zeichnungen, Grafiken, Fotos und Ölgemälde
Bonafoux hat kunsthistorische Detektivarbeit geleistet: In seinem Buch stellt er rund 170 - zum Teil kaum bekannte - Selbstporträts von Picasso zusammen. Von Kritzeleien auf Briefumschlägen und Servietten, über Zeichnungen, Grafiken und Fotos bis hin zu großformatigen Ölgemälden. Nach Bild-Analysen und historischen Einordnungen suchen Leserinnen und Leser allerdings vergeblich. "Es hilft nichts, Picasso ist und bleibt unentzifferbar. Seine Selbstporträts sind die einer Sphinx, die Rätsel aufgibt", sagt Bonafoux.
Statt sein kunsthistorisches Handwerkszeug zu nutzen, plaudert der Autor über Begegnungen mit Picassos Witwe Jacqueline oder prominenten Freunden und Sammlern des Malers. Wer weiterblättert, hat nichts verpasst. Spannend ist nicht der Begleittext, sondern der exzellente Bildteil des Buches: Ob als Teenager, als Künstler auf der Höhe seines Erfolgs oder als Greis - immer wieder nimmt Picasso den Spiegel zur Hand und befragt malend und zeichnend sein Gesicht. Mal stellt er sich realistisch dar, mal zerlegt er das eigene Konterfei in Einzelteile, um Augen, Nase und Mund auf dem Papier neu anzuordnen. Auf fotografischen Selbstbildnissen übt er sich in Macho-Posen, andere Porträt-Reihen lassen Ängste und Unsicherheiten sichtbar werden.
"Picasso malt Picasso": Eine Biografie in Selbstbildnissen
Zu den berührendsten Arbeiten gehören die Blätter, die Picasso im Sommer 1972 zeichnete - ein Jahr, bevor er starb. Sein Kopf erinnert an einen Schädel, der mit aufgerissenen Augen ins Ungewisse starrt. Dem Tod - daran lassen die Bilder keinen Zweifel - hat der hochbetagte Maler mit Furcht entgegengeblickt.
Pascal Bonafoux ordnet die Werke chronologisch. Seite für Seite lässt sich so erleben, wie Picasso experimentierte, sich ausprobierte und seine Malerei stetig weiterentwickelte. Eine Biografie in Selbstbildnissen - voller Überraschungen und Entdeckungen.
Picasso malt Picasso
- Seitenzahl:
- 224 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- Aus dem Französischen von Michaela Angermair und Sibylle Nottebohm
- Verlag:
- Schirmer/Mosel
- Bestellnummer:
- 978-3-8296-0961-6
- Preis:
- 46 €