Cover des Bildbands "Mary Warburg" © Hirmer Verlag

"Mary Warburg": Entdeckung eines vergessenen Werkes

Stand: 28.03.2021 06:00 Uhr

Mary Warburg war nicht nur die Frau des bekannten Hamburger Kunst- und Kulturhistorikers Aby Warburg, sie war auch Zeichnerin, Grafikerin und Bildhauerin.

von Martina Kothe

Die Künstlerin Mary Warburg ist zu Unrecht vergessen, das finden zumindest Bärbel Hedinger und Michael Diers. Die beiden Kunsthistoriker haben die erste umfassende wissenschaftliche Monografie über Mary Warburg herausgebracht.

"Wintersonne, Binnenalster" hat Mary Warburg eine Pastellarbeit aus dem Jahr 1895 genannt. Auf graubraunem Karton ist mit wenig Farbe und sehr sacht die blaudunstige Stadt-Silhouette von Hamburg angelegt. Darunter die Alster, über die ein kleines Dampfschiff fährt. Eine gelbe Sonne spiegelt sich im Wasser. Das Bild ist atmosphärisch dicht und sticht aus den vielen Landschafts-, Stadt- und Waldstücken von Mary Warburg heraus, weil es so reduziert ist; weil hier so wenig so viel bewirkt.

Pflege der Mutter gibt Mary Warburg wenig Zeit für die Kunst

Mary Hertz, später Warburg, hat zeitlebens gezeichnet und Plastiken gefertigt. Dennoch konnte sie sich nie ganz und gar der künstlerischen Arbeit widmen. "Es ist furchtbar schwer, an andere zu denken, wenn der Beruf, dem man sich hingibt, ein Versenken in sich selbst fordert. Ich hab' wieder all meine Malereien im Kopf und merkte sofort, wie viel schwerer es dann ist, an Anderes zu denken. Es hilft nichts, man kann doch immer nur eins zur Zeit; wie ich Mama pflegte, waren alle Mal- und Kunstgedanken in weiter Ferne und mein ganzes Herz bei der Pflege, jetzt vergesse ich wieder alles über dem Malen", schreibt Mary Hertz 1893 an Aby Warburg, den sie fünf Jahre zuvor kennengelernt hat.

Die beiden verstehen sich auf Anhieb - der junge Kunstwissenschaftler und die seit Jahren privat bei verschiedenen Malern ausgebildete Künstlerin. Für die Kunst bleibt ihr wenig Zeit, da sie ihre an Parkinson erkrankte Mutter pflegt. Viele in ihrem Umfeld sehen ihr großes Talent und halten sie an, ihre Ausbildung zu vertiefen. Darunter auch Aby, der ihr schreibt: "Du weißt ja, dass es seit Jahren mein Wunsch ist, dass Du Dich in München weiter ausbilden solltest."

Mary bleibt im Schatten ihres Mannes Aby Warburg

Die weitere Ausbildung in München findet nicht statt. Mary nimmt aber zeitlebens Unterricht bei verschiedensten Malern und Bildhauern, sie stellt aus und publiziert hier und da Illustrationen. Wo immer sie ist, wann immer sie Zeit hat, zeichnet sie. An die 900 Arbeiten umfasst ihr Werk am Ende.

Aufzählung einiger Titel aus den Skizzenbüchern:

Junge Bäuerin mit Kindern im Gefolge, Studien einer jungen Frau, Mutter mit Kind auf dem Arm, Pflanzenstudie, Blick über einen Zaun, Baumwurzeln, Seeufer mit Bäumen und Boot, Bäume im Park. Leseprobe

Ab den 1890er-Jahren beschäftigt sich Mary Hertz mit Bildhauerei und nimmt Unterricht bei Theodor Richard Thiele, der damals auch der Lehrer von Ernst Barlach ist. Dennoch bleibt sie im Schatten, rückt ihren Mann Aby Warburg, den sie 1897 heiratet, ins Licht - unterstützt ihn beim Aufbau einer wissenschaftlichen Bibliothek und kümmert sich um die drei Kinder.

Zeichnungen aus dem Familienalltag und Geschenke für Freunde

Oft zeichnet Mary das, was sie sieht: die drei Kinder, die Familie. Sie schenkt viele der Blätter und Kleinplastiken ihrem nahen Umfeld. So schickt sie Abys Bruder Max zu seinem Geburtstag, 1925, eine schnelle Bleistiftzeichnung. "Bildnis Aby Warburg, in ein Buch vertieft". Rechts groß im Bild, mit lockerem Strich hingeworfen: Aby, der den Kopf auf die Hand gestützt, konzentriert in einem Buch liest. In der linken Ecke - wie durch einen Bilderrahmen abgetrennt - eine kleinere Szene: ein Mensch, der an einem steilen Berghang steht, den Blick nach oben gewandt. Mary schreibt dazu:

"Was schadet es dem wahren Ehefrieden
Sind die Gemüter noch so verschieden
Sucht er Cassirers Weisheitstiefen zu verstehen
So zieht sie auf höchste Bergeshöhen" Leseprobe

Erst 2006 Ausstellung über Mary Warburg in der Hamburger Kunsthalle

In viele solcher kleinen Aufmerksamkeiten steckt Mary Warburg ihre Freude am Zeichnen und auch am Formulieren. Erst im Jahr 2006 wird Mary Warburg mit einer Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle gewürdigt. Im Katalog schreibt die Kunsthistorikerin Ute Haug: "Nie jedoch konnte Mary Warburg ihr Talent zu einer Reife bringen, die in einen durchgehenden eigenständigen Stil mündete."

Eine Sichtweise, der Bärbel Hedinger und Michael Diers in ihrem Text widersprechen. Sie sehen Mary Warburg als eigenständige Künstlerin und möchten ihr Œuvre würdigen.

Als Zeitzeugin und Frau mit klarem Blick und schnörkellosem Ausdruck, die in ihren wunderbaren Briefen mitunter mehr erzählt als in ihrer Kunst, ist Mary Warburg zweifellos eine (Wieder)-Entdeckung und eine Persönlichkeit, die man gern gekannt hätte. Leseprobe

Einige der Werke Mary Warburgs sollen in diesem Sommer im Ernst Barlach Haus im Hamburger Jenisch Park gezeigt werden (voraussichtlich ab dem 4. Juli und dann bis zum 12. September) unter dem Titel: "Im Augenblicke frei und glücklich".

Weitere Informationen
Aby Warburg, Porträt-Foto um 1925, digital koloriert © picture alliance/akg-images

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Mary Warburg

Seitenzahl:
536 Seiten
Genre:
Bildband
Zusatzinfo:
Beiträge von J. Braden, M. Diers, S. Haug, B. Hedinger, J. Prag, A. Völker, M. Warnke, Mitarbeit von Andrea Völker. 900 Abbildungen in Farbe, 23 x 29 cm, gebunden
Verlag:
Hirmer Verlag
Preis:
68,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 28.03.2021 | 17:40 Uhr

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