"Der Schnipsel": Vom Uni-Projekt zum hochwertigen Literaturmagazin
Das Kieler Literaturmagazin "Der Schnipsel" begann 2012 als Uniprojekt. Seitdem ist es zu einer hochwertigen Zeitschrift gewachsen.
Der Redaktionsraum ist im Sommer ein Kleingarten, leicht verwildert. In Hochbeeten wachsen Zucchini und Kartoffeln, Herbstanemonen blühen. Dara Brexendorf hatte die Idee zum Garten, als sie sich statt in wechselnden Wohnzimmern wegen Corona fast nur noch digital treffen konnten. "Und sofort waren alle dabei", sagt Brexendorf. "Das ist eben auch das Schöne am Schnipsel, dass alle Ideen sofort so weitergedacht werden und alles wächst."
Zara Zerbe hat druckfrische Exemplare vom neuen "Schnipsel" mitgebracht. Auf dem Titel ein Raketenstart: Im DinA5-Format, schön gebunden und längst nicht mehr handgenäht wie das allererste Heft vor elf Jahren, das kostenlos in den Mensen auslag. "Das ist auch immer noch mal was ganz anderes, wenn man das wirklich live in Händen hält", sagt Nikolai Ziemer, der den "Schnipsel" damals mitgegründet hat. "Das ist wirklich immer noch mal ein ganz spannender Moment - deswegen haben wir auch kein Online-Magazin sondern ein Printmagazin."
Kleine Auswahl aus vielen Einsendungen
Zehn kurze Texte und eine Fotoserie zum Thema Kommunikation haben sie für die neue Ausgabe ausgewählt. Über 160 Einsendungen waren zu sichten. Es geht um Väter, Krankheit, Sprachlosigkeit, Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, lustige Missverständnisse, Gespräche mit Pflanzen, Flaggensignale. Der Text "Was dazwischen liegt" von Ly Böhnlein handelt von einer non-binären Person. "Sie weiß nicht genau, wie sie die Worte dafür finden soll, um das ihrem Freundeskreis, aber auch ihrer Familie überhaupt rüberbringen zu können", beschreibt Maline Kotetzki den Text.
In Kleingruppen machen die sechs vom ehrenamtlichen Schnipsel-Kollektiv eine Vorauswahl. Das sei immer auch subjektiv, was ein Text emotional bei ihnen auslöst, aber auch die Technik spiele eine Rolle. "Der spannendste Teil ist, wenn wir über die Texte diskutieren", sagt Nikolai Ziemer. "Da geht es dann auch immer heiß her. Texte, die man persönlich vielleicht vorher gar nicht gut fand, findet man dann plötzlich sehr gut."
Perspektivwechsel macht Texte nahbarer
"Am Samstag" von Oliver Gehrmann war so ein Text für Zara Zerbe. Elena Kruse war direkt begeistert: "Das ist wie ein Abbild meiner Großeltern oder meiner Tanten und Onkel, die schon ganz lange verheiratet sind, und wo sich so eine Kommunikationsform eingeschlichen hat, die immer wieder ganz nah aneinander vorbeischrabbt", sagt Kruse. "Ich saß da und musste die ganze Zeit so lachen." Zara war zuerst nicht überzeugt. Aber wenn in der Redaktion diskutiert wird, passiert es häufig, "dass ich Sachen an einem Text zunächst nicht gesehen habe und wenn mir jemand seine Perspektive erklärt, dann denke ich: 'Ja stimmt!'."
Menschen zum Schreiben motivieren
Im "Schnipsel" drucken sie gegenwärtige Literatur. Nach ihren Kriterien gefragt, sagen sie: modern, experimentell, manchmal Avantgarde. Leute zum Schreiben motivieren, ist ihr Ziel und dafür ist ein Indie-Literaturmagazin die ideale Plattform: "Weil viele Leute sich erst mal ausprobieren wollen und kleinere Sachen produzieren", sagt Elena. "Es ist total oft so, dass die Leute dann ein paar Jahre später mit ihrem Debütroman rauskommen oder auf verschiedenen Messen vertreten sind." Aus dem selbstgemachten Literaturmagazin einiger schreibbegeisterter Studenten und Studentinnen ist eine graphisch hochwertig gestaltete und produzierte Publikation gewachsen.