Eine Frau in heller Bluse guckt in die Kamera. © picture alliance/dpa | Georg Wendt Foto: Georg Wendt

"Delfi": Neues Literaturmagazin für junge Literatur

Stand: 12.09.2023 07:53 Uhr

Es gibt eine neue Literaturzeitschrift am Buchhimmel: "Delfi" der Ullstein Buchverlage widmet sich in erster Ausgabe dem Thema "Tempel". Mitherausgeberin Fatma Aydemir berichtet über die Entstehung.

Die Mediennutzung hat sich sehr verändert. Immer mehr Kulturzeitschriften gehen ins Netz - oder gehen pleite. Aber jetzt erscheint ein neues Magazin für junge Literatur und das ganz altmodisch im Print: "Delfi". Mitherausgeberin ist die Redakteurin und Autorin Fatma Aydemir, die im vergangenen Jahr mit ihrem Roman "Dschinns" für viel Aufmerksamkeit gesorgt hat und auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand.

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Wir sprechen über dieses neue Zeitschriftenprojekt und natürlich interessiert uns als Allererstes: Warum braucht es für Sie das gedruckte Wort?

Fatma Aydemir: Ich glaube, dass das gedruckte Wort im Kontext der Literatur nochmal eine andere Bedeutung hat als in den Medien allgemein. Dass "Delfi" eine Literaturzeitschrift ist, macht die Station ein bisschen anders als für Nachrichtenmagazine zum Beispiel. Die Auseinandersetzung mit Literatur, des Lesen von Gedichten, von Kurzgeschichten, von Essays, die nicht zur Informationsvergabe dienen, sondern eher zur Kontemplation, vielleicht zur Suche nach einer Erkenntnis, ist ein vertiefender Prozess und braucht eine andere Konzentration. Ich mache die Erfahrung in meinem eigenen Umfeld, und die Zahlen sprechen auch dafür: Ja, es gibt E-Reader, es gibt Leute, die lesen auch Literatur auf ihren Geräten, aber gerade ist es immer noch so, dass die Mehrheit gedruckte Bücher und gedruckte Literatur bevorzugt und etwas Haptisches, ein Papier in der Hand haben möchte.

Wer steckt denn hinter "Delfi"? Wie kam es überhaupt zu dieser Idee?

Aydemir: Hinter "Delfi" stecken eben ich und Hengameh Yaghoobifarah, Enrico Ippolito und Miryam Schellbach - und außerdem natürlich der Ullstein Verlag. Ich sage natürlich, weil wir in dem Sinne ja nicht etwas machen, was es noch nie gegeben hat. Literaturzeitschriften hat es immer gegeben, und es gibt nach wie vor welche. Die Situation ist allerdings immer sehr prekär für diese Zeitschriften, weil die meisten auch eher unabhängig erscheinen, also nicht einen großen Verlag im Rücken haben wie wir. Für uns sieht die Situation eben so aus, dass wir relativ frei arbeiten können und nicht so sehr abhängig sind von einer Selbstausbeutung oder davon, ohne Ressourcen arbeiten zu müssen. Das ist ganz angenehm, weil wir gute Honorare an unsere Autor*innen bezahlen können und wir wie gesagt den Ullstein Verlag hinter uns haben, der uns vertraut und machen lässt, und wir auch ein bisschen davon leben können.

Warum überhaupt "Delfi"?

Aydemir: "Delfi" ist uns per Zufall zugeflogen. Wir haben, um ehrlich zu sein, in erster Linie nach einem Namen gesucht, der gut klingt und den man sich gut merken kann. Es ging erst einmal gar nicht darum, einen großen Bedeutungsüberbau zu schaffen. Dann war ich in dieser Zeit im Theater und habe mir eine griechische Tragödie angeschaut. Da spielt ja eben dieses Orakel von Delphi eine große Rolle. Irgendwie dachte ich nicht nur, dass der Name gut klingt, sondern dass das ein schönes Bild für Literatur und für ihre Funktionsweisen ist - eine Art Orakel eben, bei dem man Rat sucht und erst mal nur rätselhafte Botschaften erhält und sich so selbst die Prophezeiung in gewisser Weise interpretieren muss. So kam es zu "Delfi", und das kam in der Gruppe ganz gut an.

Wen wollen Sie mit Ihrem Orakel erreichen?

Aydemir: Wir haben gar keine spezifische Zielgruppe, würde ich sagen. Es geht in erster Linie erst einmal darum, eine Zeitschrift zu machen, die wir als Macher*innen einfach gerne lesen würden, die uns ein bisschen fehlt. Wir arbeiten eben mit monothematischen Ausgaben. Die erste Ausgabe ist mit dem Thema "Tempel" überschrieben. Bei dieser Ausgabe war unsere Herangehensweise so, dass wir eine Wunschliste gemacht haben mit Autor*innen, von denen wir denken, die passen zu dem Thema, und wir haben versucht, verschiedene literarische Positionen zusammenzubringen. Wen wir jetzt damit erreichen, ich meine, es ist erst ein paar Wochen raus, aber wir haben den Eindruck, dass es eigentlich eine sehr diverse Leser*innenschafft erreicht. Leute, die einfach Lust haben auf gute Texte, auf neue Texte. Es sind alles Auftragsarbeiten. Aber auch Leute, die neugierig sind auf ein gut gestaltetes Heft. Es war uns auch ein Anliegen mit sehr tollen Grafiker*innen zu arbeiten und auch ästhetisch etwas Neues zu formen.

Welche Autorinnen und Autoren sind denn dabei?

Aydemir: In der ersten Ausgabe haben wir Leute wie Enis Maci, Evan Tepest, Olivia Wenzel, die in der deutschsprachigen Literatur ja wie so eine neue Avantgarde relativ junge Namen sind, aber auch eben schon Namen, von denen man schon ein bisschen was lesen konnte. Wir haben aber auch internationale Autor*innen wie Maria Stepanova, Ocean Vuong aus den USA oder eben Mohamed Mbougar Sarr, der gerade mit dem Internationalen Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Das ist eine sehr diverse Mischung aus verschiedenen ästhetischen Positionen und Gattungen, aber eben auch aus verschiedenen Herkünften.

Was können wir uns unter dem Thema "Tempel" vorstellen? Unter welchen Aspekten wird das beleuchtet?

Aydemir: Wir haben diesen Begriff bewusst sehr offen und weit gefasst. Ich würde auch nicht sagen, dass das zu 100 Prozent ironiefrei war, es "Tempel" zu nennen. Es war natürlich auch ein bisschen wie eine Referenz an diesen Namen "Delfi". Wir kennen das, glaube ich, aus der Literatur. Diese Institutionen, in denen Literatur vertrieben und gelesen wird, sind zum Beispiel die Literaturhäuser, die oft echt so einen Tempelcharakter haben - klassizistische Bauten, wo sich auch eine bestimmte Gesellschaftsschicht herumtreibt. Es ging darum, dass auch so ein bisschen aufzulockern und zu gucken, was fällt den Autor*innen dazu ein? Das sind ganz verschiedene Sachen: Ocean Vuong schreibt von einem Vergnügungstempel. Enis Maci schreibt von Tempeln wie den von Palmira, eben antike Tempel, die auseinandergenommen werden und wo antike Gaben verscherbelt und verkauft und kapitalisiert werden. Es geht aber auch um romantische, erotische Beziehungen, die sozusagen als Tempel gefasst werden. Und es geht, um nicht zu viel zu verraten, auch um einen Rave am Ende des Textes. Es sind sehr verschiedene Arten von Tempeln.

"Delfi" erscheint zweimal jährlich als Themen-Magazin. Die erste Ausgabe finden Sie jetzt am Kiosk.

Das Gespräch führte Julia Westlake.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 12.09.2023 | 16:00 Uhr

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