Eine Frau in blauem Jeanshemd sitzt in einem Sessel und gestikuliert © picture alliance / dpa Foto: Horst Galuschka
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AUDIO: Warum hassen Menschen Menschen? (50 Min)

"Hass ist ein Alibi-Gefühl": Warum Menschen andere unterdrücken

Stand: 08.01.2025 06:00 Uhr

Für Emilia Roig ist klar: Menschen unterdrücken diejenigen, vor denen sie Angst haben. Wie das entstanden ist und wie wir es ändern können, beschreibt die Politikwissenschaftlerin im Podcast Tee mit Warum.

Emilia Roig beschäftigt sich als Autorin, Speakerin und Beraterin mit verschiedenen Formen von Unterdrückung. Die promovierte Politikwissenschaftlerin sieht die Angst um Besitz als Ursache für Diskriminierung. Auf diese Angst gründet ihrer Meinung nach der Hass gegen einzelne Menschen oder ganze Gruppen. Einen Auszug des Gesprächs lesen Sie hier, das ganze Gespräch hören Sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum.

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Tee mit Warum: Warum hassen Menschen Menschen?

Emilia Roig meint, dass hinter dem Hass und der Unterdrückung von Gruppen die Angst vor der eigenen Machtlosigkeit steckt. extern

Emilia Roig, wir haben uns die Frage gestellt: Warum hassen Menschen Menschen? Ist es überhaupt der Hass, der die Menschen dazu verleitet, andere Menschen zu unterdrücken?

Emilia Roig: Ich würde sagen, dass Hass ein Alibi-Gefühl oder eine Alibi-Emotion ist, die dahinter steckt. Meiner Meinung nach ist das Gegenteil von Liebe nicht Hass. Das Gegenteil von Liebe ist Angst. Menschen unterdrücken Menschen, weil sie Angst haben vor ihrer eigenen Machtlosigkeit. Sie haben Angst, ersetzt zu werden.

Ich glaube, es ist so einer Art Überlebensmechanismus, der falsch gelaufen ist. Zum Beispiel haben Männer Angst vor der schöpferischen Kraft der Frauen. Die Kolonisatoren hatten Angst von den Kolonisierten, weil diese ihnen zahlenmäßig überlegen waren. In der Unterdrückung haben sie die einzige Möglichkeit gesehen, sich machtvoll zu fühlen.

Wieso gibt es die Furcht davor, dass andere einem überlegen sein könnten?

Roig: Ich glaube, diese Furcht ist nicht immer vorhanden. Meine Vermutung ist, dass diese Angst parallel mit der Entwicklung von dem Konzept des Besitzes entstand. Also ab dem Moment, als Menschen sesshaft wurden und ab dem Moment, wo es einen Überfluss gab an Nahrung oder Produktion. Es stellte sich die Frage: Wem gehört das?

Wir haben dann als Menschen unser Überleben an dieses Konzept des Besitzes geknüpft. Wir denken: Wenn wir heute kein Geld besitzen, können wir sterben. Das ist eine sehr materielle Realität, die aber trotzdem in einer Illusion verwurzelt ist. Denn unser Überleben ist nicht von Geld abhängig im wahrsten Sinne, sondern es ist davon abhängig, dass es die Erde gibt und dass es regnet und dass es die Sonne gibt, und dass wir füreinander sorgen.

Diese Angst hat sich entwickelt, weil Männer verstanden haben, dass sie in der Reproduktion von Besitz und auch in der Reproduktion von Besitzenden sonst keine Rolle spielen. Sie wollten dadurch diese schöpferische Kraft kontrollieren, sie wollten eine aktive Rolle darin spielen. Dazu mussten sie bestimmte Regeln erfinden, damit eine Frau und die Kindern ihnen gehören, in Anführungsstrichen. Das hat sich umgewandelt in Unterdrückung. Kontrolle und Unterdrückung sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Das heißt: Kontrolle plus Macht führt zur Unterdrückung.

Was sind die Stellschrauben, die wir drehen müssen, um uns gesellschaftlich in eine andere Richtung zu entwickeln? Und: Wenn es weniger Unterdrückung und Diskriminierung in unserer Welt gäbe, würden dann nur diejenigen davon profitieren, die unterdrückt werden?

Roig: Wir können nicht wissen, was die Alternative ist. Wir können jetzt keine sehr klare Vorstellungen vom nächsten System haben. In der ganzen Geschichte der Menschheit wussten die Menschen nicht, was danach kommt. Was wir aber wussten, ist, dass das jetzige System, was jetzt gerade am Zerbröckeln ist, nicht mehr funktioniert, dass es uns nicht mehr trägt. Der Kapitalismus kann uns als Menschheit nicht mehr tragen. Es gibt immer noch Leute, die das leugnen. Aber wir haben genug Studien dafür, dass klar ist, wenn es so weitergeht, werden wir nicht überleben.

Deshalb ist es für mich wichtig, dass wir ein Vertrauen entwickeln, dass wir die richtigen Ressourcen haben. Unsere Spezies lebt schon viel länger als der Kapitalismus. Ich glaube, das war der israelische Historiker Yuval Noah Harari, der die Zeit des Kapitalismus als sechs Minuten in einer ganzen Stunde beschrieben hat. Was ist mit den anderen 54 Minuten? Wir haben doch zuvor Wege gefunden zum Leben. Das wird nicht anders sein nach dem Ende des Kapitalismus. Deshalb ist die Alternative erstmal, dass wir uns selbst vertrauen und dass wir mit dieser Tatsache konfrontiert werden und das akzeptieren.

Du hast Unterdrückung sehr eng an Kapitalismus gekoppelt: Würdest du sagen, dass in einer nachkapitalistischen Welt Phänomenen wie Rassismus oder Patriarchat die Grundlage genommen wird?

Roig: Nicht zwingend. Aber die Chancen sind höher. Der Kapitalismus braucht die Hierarchien unter Menschen, um funktionieren zu können. Er braucht Hierarchien von Arbeiterinnen und Arbeitern. Diese Hierarchien verlaufen derzeit entlang des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Geografie, der sozialen Klasse. Besitz wird es meiner Meinung nach immer noch geben. Aber die Frage des Besitzes ist heute sehr eng gekoppelt an das Geldsystem und Geld ist heute viel mehr als nur ein Tauschmittel. Geld ist ein gesamtes System. Dass wir das Leben der Menschen mit einer Form von Besitz, mit einer Form von Tauschmittel regeln müssen, ist klar. Aber das wird wahrscheinlich ganz anders aussehen als die spekulativen Märkte, Schulden und Systeme, die wir heute kennen.

Die Fragen stellten Denise M'Baye und Sebastian Friedrich. Das ganze Gespräch hören Sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Tee mit Warum - Die Philosophie und wir | 05.01.2025 | 16:00 Uhr

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