Giovanni di Lorenzo: Verlässt sich bei Gesprächen auf den Moment
Menschen in seiner Nähe sind in der Regel entspannt, locker, verraten Dinge, die sie so vielleicht nicht der Öffentlichkeit preisgegeben hätten. Im Interview spricht er über intensive Begegnungen und prägende Zeitgenossen.
Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der "ZEIT", Moderator bei "3nach9", hat unzählige Gespräche in seiner journalistischen Laufbahn geführt. Eine erste Sammlung seiner Interviews erschien 2014: "Vom Aufstieg und anderen Niederlagen". Ein Nachfolgeband ist gerade erschienen: "Vom Leben und anderen Zumutungen". Hier versammelt di Lorenzo ein buntes Potpourri an Begegnungen: von Victor Orbán über Udo Jürgens, Papst Franziskus oder Recep Tayyip Erdoğan - intensive Begegnungen, die auch Spiegelbild der politischen Debatten der vergangenen Jahre sind. In "NDR Kultur à la carte" spricht Giovanni di Lorenzo mit Claudia Christophersen über seine Arbeit, über Begegnungen und die gegenwärtige Verfasstheit der Gesellschaft.
Was ist für Sie ein gutes Gespräch?
Giovanni di Lorenzo: Ein Gespräch ist dann gut, wenn sich der Gesprächspartner öffnet und was von sich preisgibt - sodass es am Ende ein Porträt in Form eines Gespräches wird.
Klappt das immer so? Gerade heute in diesen Zeiten, in denen man doch eher vorsichtiger und tastend ist?
di Lorenzo: Es klappt oft nicht. Ich habe schon unglaublich viele Gespräche in meinem Leben versemmelt. Manchmal auch gar nicht so sehr, weil die anderen vorsichtig waren, sondern weil meine Fragen schlecht waren. Ich glaube, ich habe lange gebraucht, um zu kapieren, dass es beim Fragen nicht darauf ankommt, dass man möglichst schlau rüberkommt. So nach dem Motto: Was hat der jetzt für eine tolle kritische Frage gestellt - sondern dass man Fragen stellt, die dem anderen Lust machen, zu antworten. Da habe ich lange gebraucht, dass man sich zurücknehmen muss.
Wie beginnen Sie ein Gespräch? Was ist eine gute Frage zum Einstieg?
di Lorenzo: Ich bereite mich wirklich lange auf die Gespräche vor. Ich habe nie einen Fragenkatalog dabei und auch keine vorformulierten Fragen. Ich schaue einfach, wie die Stimmung ist. Ich habe eine Vorstellung davon, wie ich anfangen möchte, aber ich verlasse mich dann auf den Moment. Zum Beispiel, als ich den Papst interviewt habe, da können Sie sich vorstellen, wie lange ich mich darauf vorbereitet hatte. Dann ging erstmal alles schief. Ich hatte nämlich mein Tonbandgerät im Hotel vergessen. Da musste ich noch mal zurück durch den römischen Berufsverkehr, das Aufnahmegerät holen. Schweißgebadet kam ich an, ich hatte natürlich Angst, beim Papst zu spät zu kommen.
40 Minuten waren anvisiert, die konnten wir zum Glück ausdehnen. Als ich dem Papst dann gegenüber saß, dachte ich, es hat keinen Sinn. Ich frage ihn zu den Enzykliken, eine war auch gerade veröffentlicht worden. Ich habe mich spontan entschieden, ich stelle ihm Kinderfragen. Also wofür darf man beten, wofür nicht? Glaubst du an den Teufel? Gibt es Momente, wo du ganz weit weg bist von Gott und dem Glauben? Darauf hatte er sich zu meinem großen Erstaunen eingelassen, hat offenbar auch daran Interesse gefunden, denn unsere verabredete Zeit ist erheblich überschritten worden. Das war toll.
Sie haben mehrfach Angela Merkel getroffen und interviewt. Sie kommt mir bei Ihnen erstaunlich locker und entspannt vor.
di Lorenzo: Sie war ein Jahr, nach dem sie nicht mehr Bundeskanzlerin war, entspannter als sonst. Frau Merkel ist kein leichter Interviewpartner, weil sie sich sehr unter Kontrolle hat. Wenn ihr was zu Kanzlerinnen-Zeiten rausrutschte, dann haben viele Geister noch etwas verändert. Aber bei einem Interview hat sie wirklich ein bisschen was gesagt. Vor allem hat sie etwas zu ihrer Haltung zu Russland gesagt, was über das bereits Bekannte hinausging.
Das war das Gespräch, das Sie in Leipzig mit ihr geführt haben.
di Lorenzo: Da, aber auch schon in dem Gespräch, das ich mit der Kollegin Tina Hildebrandt für die ZEIT geführt hatte. Auch da hat sie ein kleines bisschen angedeutet, was vielleicht ein Fehler bei der Einschätzung war. Dann habe ich sie in Leipzig noch einmal sprechen können, zwei Stunden auf einer Theaterbühne. Das war glaube ich, recht lebendig.
Ich finde, Sie lachen sehr viel und sind sehr lebendig. Wenn Sie Angela Merkel nach Fehlern, die sie rückblickend gemacht hat, fragen, bleibt sie aber sehr verschlossen.
di Lorenzo: Ja, aber ich habe nachgehakt und immer wieder nachgehakt. Weil ich versuchen wollte, etwas zu verstehen, was für mich auch wirklich unbegreiflich war. Jeder Mensch macht Fehler. Je höher die Position ist, desto gravierender sind die Fehler, wenn sie einem passieren. Das ist unvermeidlich. Warum sie dieses Gefühl hat, im Rückblick sind kaum Fehler gemacht worden, das wollte ich versuchen rauszubekommen. Da kann man jetzt sagen, da bin ich abgeprallt. Aber in der Art und Weise, wie sie geantwortet hat, hatte man doch das Gefühl, ich bekomme von dieser Person einen Eindruck, der relativ authentisch ist.
Das Gespräch führte Claudia Christophersen.