Doris Dörrie: "Unsere Wohnungen sind von Patriarchen erdacht"
Im Interview spricht Regisseurin und Autorin Doris Dörrie über ihr neues Buch zum Thema Wohnen - über eigene Prägungen, starre Modelle und darüber, dass unsere Wohnungen oft noch immer nach patriarchalen Vorstellungen funktionieren.
In "Wohnen" nähert sich Dörrie dem Thema auf sehr persönliche Weise. Aktuell ist der Essay in "Am Morgen vorgelesen" auf NDR Kultur zu hören - gelesen von der Autorin selbst. Im Interview erzählt die Künstlerin, die Ende Mai 70 Jahre alt wird, warum sie selbst nicht gerne lange an einem Ort bleibt und was sie beim Blick in die Häuser reicher Menschen in Los Angeles besonders irritiert hat.
Frau Dörrie, Sie sagen von sich, Sie seien gar nicht so sehr der Wohntyp, sondern gerne viel unterwegs. Warum dann jetzt ausgerechnet dieses Buch?
Doris Dörrie: Es gab eine Anfrage vom Hanser Verlag, weil die ja diese tolle Reihe machen, bei der Elke Heidenreich mit "Altern" angefangen hat und da wirklich groß eingestiegen ist. Das Thema Wohnen war noch übrig - und ich hatte am Anfang auch Mühe damit, weil ich eben so gar nicht der Wohntyp, sondern viel lieber unterwegs bin als länger an einem Ort zu sein.
Was ist denn das Negative für Sie, lange an einem Ort zu wohnen?
Dörrie: Zum einen hat mich die Neugier schon sehr früh aus dem Haus getrieben. Als ich angefangen habe, wirklich darüber nachzudenken, kam zum anderen heraus, dass ich das auch sehr stark von meinen Eltern übernommen habe: diese Vorstellung, dass nichts wirklich sicher ist und stabil ist. Diesen Traum von dem Traumhaus, wo man sich für sein Leben einrichtet, hatten meine Eltern beide verloren, weil sie ausgebombt waren. Sie haben uns glaube ich mitgegeben, dass man sich lieber in der Welt zu Hause fühlen sollte, als an einem einzigen Ort, auf den man dann glaubt, für immer bauen zu können. Das sitzt mir sehr tief in den Knochen. Ich fand es sehr interessant, darüber nachzudenken, wie sehr unsere Art zu wohnen auch geprägt ist von der Art, wie unsere Eltern gewohnt haben, wie und wo wir aufgewachsen sind.
An welche Wohnung denken Sie denn heute noch am meisten?
Dörrie: Dadurch, dass meine Eltern beide gestorben sind in den letzten Jahren, denke ich oft doch sehr wehmütig an die Wohnung meiner Kindheit zurück, wo ich mit meinen drei Schwestern aufgewachsen bin. Gar nicht so sehr an die Wohnung an sich, sondern was das bedeutet hat - wie viel Energie meine Eltern und besonders eben auch meine Mutter darauf verwandt hat, die Wohnung zu einem sicheren Nest für uns zu machen. Das ist für mich auch eine ganz wichtige Voraussetzung gewesen, dass ich so gut losfliegen konnte in die Welt, weil ich immer wusste: Ich kann wieder zurückkommen und da ist ein sicherer Ort.
Hatten Sie da ein eigenes Zimmer?
Dörrie: Ja, das seltsame war, dass ich immer ein eigenes Zimmer hatte. Von dem Moment an, als ich Schulkind wurde, bekam ich ein eigenes Zimmer. Meine Schwestern nie und meine Mutter auch nicht. Das hat auch niemanden jemals gewundert und niemand hat es eingefordert von den anderen. Es ist mir jetzt auch erst beim Schreiben bewusst geworden, was das für mich bedeutet hat. Vielleicht hätte ich gar nicht zum Schreiben und Lesen gefunden, wenn ich nicht dieses eigene Zimmer gehabt hätte.
In diesem Zimmer habe ich mir immer einen anderen Namen gegeben. Da hieß ich Tamara und habe mich dann in so einen kleinen Sessel gesetzt zum Lesen - und fand es wunderbar, in andere Welten gehen zu können. Das war für mich ganz entscheidend und wichtig.
Sie konnten sich auch immer wieder anschauen, wie die Menschen in verschiedenen Ländern wohnen. Was hat Sie dabei besonders fasziniert?
Dörrie: In Los Angeles war ich als junge Frau sehr einsam. Da habe ich im Hotel gewohnt - und Los Angeles war damals wirklich eine sehr tote Stadt. Da gab es gar nichts. Da bin ich dann aus purer Langeweile am Wochenende zu Hausbesichtigungen gefahren und habe es so getan, als wollte ich mir ein Haus kaufen. Dabei hatte ich kaum fünf Dollar in der Tasche. Und das war sehr interessant. Es waren Häuser in sehr reichen Gegenden, die offene Besichtigungen gemacht haben. Und ich fand es fast ein wenig erschütternd, dass sehr reiche Leute sehr langweilig wohnen. Das war alles komplett durchdesignt, aber es hatte nur ganz selten, fast nie, wirklich etwas Persönliches. Man hat nicht gemerkt, dass die Menschen, die dort wohnen, ihre Umgebung auch wirklich so gestalten, wie sie selbst sind. Es waren immer Vorgaben von anderen oder Vorgaben von Zeitgeist. Ich fand es seltsam, dass es quer durch all diese Häuser dasselbe war.
Das Thema Wohnen hängt auch mit den Veränderungen in der Gesellschaft zusammen. Glauben Sie, unsere Wohnkultur hält damit Schritt?
Dörrie: Das ist ein interessantes Feld. Ich glaube, dass unsere Architektur komplett hinterherhinkt und es noch überhaupt keine Vorbilder dafür gibt. Es gibt Modellprojekte, aber die sind noch nicht eingezogen in unseren Städtebau. Wir haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse, leben zum Beispiel mit Familie und brauchen mehr Platz, dann wieder allein und brauchen weniger Platz. Darauf einzugehen und sich vorzustellen, dass man ja auch mit Modulen arbeiten oder sich ganz andere Wohnmodelle erdenken könnte, findet gar nicht statt. Gleichzeitig haben wir eine brutale Wohnungsnot in den großen Städten. In München, wo ich lebe, ist es unbezahlbar geworden, mitten in der Stadt zu wohnen. Das bedeutet, dass Familien rausgedrängt werden. Auch andere Lebensformen, wenn man etwa mit mehreren Leuten zusammen wohnen möchte, sind im Stadtkern nicht mehr möglich. Was bedeutet das für die Städte? Das ist eine Verödung, die durch diese verfehlte Wohnungspolitik entstanden ist. Und ich sehe wenig Initiative oder auch politischen Willen, das wirklich zu ändern.
Sie schreiben bei dem Thema ja auch mit einem besonderen Blick auf die Frauen. Diese hatte traditionell ja gar kein Zimmer für sich. Ihr Zimmer war die Küche.
Dörrie: Wenn man mal so rumfragt, und das habe ich viel gemacht für dieses Buch, ist es so, dass auch die jüngeren Frauen immer noch kein eigenes Zimmer haben. Natürlich sind unsere Wohnungen erdacht von Patriarchen. Es ist ein patriarchales System, in dem diese Wohnungen nicht nur erdacht sind, sondern in die wir Frauen auch eingefügt worden sind, je nach Nützlichkeit. Und wo sind wir Frauen am nützlichsten? In der Küche. Deshalb wurden die Küchen auch so designt, wie sie sind. Und auch das hat ja nichts mehr mit unserem modernen Leben zu tun. Da sehe ich auch wenig Veränderung.
Und in welchem Zimmer sind Sie gerade?
Dörrie: Ich bin gerade im Wohnzimmer und liege auf der Couch. Ich liege wahnsinnig gerne rum.
Das ist ja schon mal ein schönes Wohngefühl. Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Julia Westlake.
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