Die Schönheit von Grau: Bildband "Miwa Ogasawara - Unspoken"
Nach ihrer Arbeit als Kindergärtnerin entschied sich die in Japan aufgewachsene Miwa Ogasawara für ein Kunststudium. Nun hat die Malerin einen Bildband veröffentlicht.
Ein langer Flur, der weit hinten eine Kurve nimmt. Das Ende unklar. Links und rechts rahmen den Gang große, bodentiefe Fenster. Mattes Licht fällt ein, hinterlässt auf dem blitzblank geputzten Boden breite, helle Streifen. Kein Mensch in Sicht. Vielleicht ein Flur in einem belebten Krankenhaus, durch den zufällig gerade niemand geht. Oder ganz anders: ein verlassener Bürotrakt, schon ewig leer stehend.
Miwa Ogasawara legt sich in ihrer Malerei auf keine Geschichte fest. Die überlässt sie uns. "Ich möchte, dass die Menschen mit meinen Bildern eine Verbindung aufbauen können. Und dafür ist so eine kleine Offenheit sehr wichtig", sagt Ogasawara. "Wenn die Bilder abstoßend wirken durch die Behauptung: 'Ich will das aussagen!', dann kann man nicht innehalten und anfangen, zu schauen und in Gedanken zu versinken."
Miwa Ogasawaras Bilder sind zurückhaltend und leise
Die Malerei der aus Japan stammenden Künstlerin hat etwas Leises, Zurückhaltendes. Eingefangen sind Momente im Dazwischen - davor ist etwas passiert oder danach wird etwas passieren. Zum Beispiel: Zwei nackte Füße im Begriff loszugehen, denn die eine Ferse löst sich vom Boden. Oder ein Mädchen im T-Shirt-Kleid und Turnschuhen mit ernstem Blick. Oft wartet jemand. Etwa eine handvoll Menschen an einem Bahnhof oder eine einzelne Frau an einem Fenster.
Ein Blick in die Ferne, auf den Ozean. Verschwommen ist das Bild, als hätte jemand eine dünne Watteschicht darüber gelegt. Eine mächtige, schäumende Welle mischt das ansonsten so glatte Meer auf. Am Horizont ein schwarzer Streifen. Eine Landzunge?
"Die Sonne war noch nicht aufgegangen, Meer und Himmel ließen sich nicht unterscheiden, nur dass das Meer leicht gefältelt war wie ein zerknittertes Tuch." Leseprobe
"Unspoken": Gekonntes Spiel mit Licht und Dunkelheit
Im Bildband werden die ersten Zeilen aus Virginia Woolfs Roman "Die Wellen" zitiert. Darin bringt Licht die Landschaft scheinbar zum Tanzen:
"Allmählich, während der Himmel weiß wurde, erstreckte sich eine dunkle Linie am Horizont, die das Meer vom Himmel trennte, und das graue Tuch wurde von dicken Streifen durchzogen, die sich, einer nach dem anderen, unter der Oberfläche bewegten, einander folgend, einander jagend, immerzu." Leseprobe
Auch Ogasawara spielt gekonnt mit dem Licht - und der Dunkelheit. Weiß, Schwarz und vor allem die vielen Töne von Grau - das ist die Farbpalette, mit der Miwa Ogasawara malt. Erstaunlicherweise fehlt den Bildern farblich nichts. Im Gegenteil: Die feinen Schimmer, zum Beispiel ein angedeutetes Grün hinter einem Fenster, ein Hauch von Lila in einem Raum, kommen umso stärker zur Geltung.
Schlichte Eleganz von Miwa Ogasawaras Malerei
"Grau hat schon sehr viele Farben. Grau kann sogar fast das ganze Farbenspektrum beinhalten. Bei mir geht es nicht so sehr um diese starken Momente des Lebens, Heiterkeit oder Trauer, sondern das sind eher ganz feine Nuancen dazwischen. So ein Alltagsgefühl", erklärt die Künstlerin.
Die Schönheit des Alltäglichen, die Schönheit der Farbe Grau wird uns beim Anblick dieser Bilder bewusst. Mutig trifft Miwa Ogasawara ihre künstlerischen Entscheidungen, sie lässt weg, vereinfacht. Beeindruckend ist die schlichte Eleganz ihrer Malerei. Kein Tupfer, kein Strich zu viel.
Unspoken
- Seitenzahl:
- 116 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- Beiträge von Kristine Bilkau, Nicola Graef, Sayako Mizuta. Text auf Deutsch / Englisch / Japanisch, 80 Abbildungen in Farbe, 21 x 27 cm, gebunden
- Verlag:
- Hirmer Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3-7774-3717-0
- Preis:
- 29,90 €