Buchbranche: Was macht eigentlich ein ... Verlagsvertreter?
Ohne sie würde der Betrieb nicht funktionieren, aber außerhalb der Buchbranche weiß kaum jemand etwas mit dem Beruf des Verlagsvertreters anzufangen. Vertreter Jochen Thomas-Schumann beantwortet die wichtigsten Fragen.
Auf dem Weg von einem Text auf dem Schreibtisch eines Autors oder ein Autorin bis zum fertigen Buch im Handel sind diverse Menschen und Abteilungen involviert - im Verlag beispielsweise das Lektorat, das Marketing, der Vertrieb. Und ganz zum Schluss müssen die Verlagsvertreter ihren Segen dazugeben. Es ist ein sehr wichtiger Job für die Buchbranche, aber für Außenstehende ziemlich undurchsichtig. Obwohl sich durch die Digitalisierung bereits vieles verändert hat, sind sie weiterhin die Vermittler zwischen den Verlagen und den Buchhandlungen. Jochen Thomas-Schumann ist freier Vertreter für bekannte Verlage und erzählt, was seine Arbeit ausmacht.
Wenn Du auf einer Party sagst, dass Du Verlagsvertreter bist: Weiß dann jeder, etwas damit anzufangen?
Jochen Thomas-Schumann: Meine Frau sagt immer, ich solle nie sagen, dass ich Vertreter bin. Da geht in den Köpfen der Menschen der Film ab: Staubsaugervertreter, früher den Brockhaus an der Haustür verkauft und so weiter. Mit Verlagsvertreter verbinden ganz viele nichts und haben auch noch nie gehört, dass es etwas so etwas gibt.
Was sagst du denn dann?
Thomas-Schumann: Wenn ich es ernsthaft erkläre, dann sage ich natürlich: Ich bin Verlagsvertreter. Dann erzähle ich, dass es in Deutschland circa 5.000 Buchhandlungen gibt - und Unmengen von Büchern. Ich weiß nicht, wieviel Zehntausende von Neuerscheinungen jedes Jahr erscheinen, und diese Bücher müssen irgendwie in den Buchhandel finden. Da der Buchhandel neben den großen Filialisten immer noch ein sehr kleinteiliger, sehr individueller Markt ist, muss man für jede dieser Buchhandlung die richtigen Bücher an den Mann bringen. Und das ist meine Aufgabe. Ich fahre durch die Lande. Es gibt natürlich verschiedene Verlagsvertreter für verschiedene Verlage, das ist in verschiedene Bundesländer aufgeteilt - und dann hat man seinen festen Kundenstamm. Da fährt man also zwei-, dreimal im Jahr hin und stellt die Neuproduktion der Verlage vor.
Wie können wir uns so ein Gespräch vorstellen? Worüber redet ihr dann?
Thomas-Schumann: Man kennt sich sehr gut. Ich bin jetzt schon seit 20 Jahren Verlagsvertreter. Die Buchhandlungen haben sich auf diesen Termin vorbereitet. Dazu muss man sagen, dass ich selbständiger Verlagsvertreter bin - ich arbeite für verschiedene Verlage. Die ganz großen Verlage haben ihre angestellten Vertreter. Das heißt, ich habe einen großen Stapel von Katalogen und die haben die Buchhandlungen normalerweise vorher bearbeitet. Ja, und dann tauscht man die üblichen Freundlichkeiten aus und so weiter. Smalltalk-Fähigkeiten gehören auch dazu.
Dann geht man die Kataloge durch und sucht zusammen aus, was für die jeweilige Buchhandlung die sinnvollsten Bücher sind. Man muss natürlich sagen, dass es bestimmte Bücher in den Programmen der Verlage gibt, die eigentlich überall da sein sollten, weil die Bestsellerpotenzial haben. Oder es sind bekannte Autoren, die auf der Bestsellerliste landen und in den Medien besprochen werden, die irgendwo in literarischen Sendungen vorkommen werden - oder im NDR in "Am Morgen vorgelesen". Die sollten natürlich flächendeckend überall, und wenn möglich in adäquater Stückzahl, in der jeweiligen Buchhandlung liegen.
Dann kaufen die Buchhandlung bestimmte Titel ein - je nachdem, welche du ihnen ans Herz gelegt hast.
Thomas-Schumann: Natürlich gibt es Titel, mit denen die Verlage und auch die Buchhandlungen ihr Geld verdienen, ihre Löhne zahlen, ihre Miete zahlen. Da kommt einmal im Jahr ein Fitzek, und da haben sie zwischen 100 und 500 oder auch 1.000 Kunden dafür, die den auf jeden Fall kaufen - egal, was da drinsteht. Das ist ganz einfach. Aber wir haben ja zum Beispiel Holland als Schwerpunkt der Leipziger Buchmesse in wenigen Wochen. Wenn es da dann beispielsweise eine neue Autorin aus Holland gibt und sie haben den Namen zwar noch nie gehört, ich habe aber das Manuskript vorher gelesen und der ganze Verlag ist enthusiasmiert, da muss man dem Buchhandel dann Zutrauen zu diesem Titel geben und sagen: "Legt euch fünf oder zehn oder 20, je nach Größe, hin". Und eben auch irgendwo im hessischen Hinterland sagen: "Okay, das wird auch bis zu euch vordringen, dass dieses tolle Buch dieser niederländischen Autorin ein Hit wird."
Warum müssen sich die Buchhandlungen sozusagen trauen, Bücher einzukaufen? Was ist denn das Risiko?
Thomas-Schumann: Der Buchhandel wird permanent von einer Überproduktion geflutet oder bedroht. Und natürlich sucht ein Buchhändler, der nur begrenzte Kapazitäten für seine Buchhandlung und auch auf seinem Konto hat, immer Argumente dafür, warum er ein Buch nicht einkaufen soll. Viele haben das Problem: Sie lieben Bücher. Die Buchhandlungen und Buchhändler lieben Bücher - die wollen eigentlich alle Bücher haben. Aber das können sie natürlich nicht, weil sie nicht alle verkaufen werden. Es wäre betriebswirtschaftlicher Wahnsinn, wenn sie das tun würden. Deswegen müssen sie sich gegen ein Zuviel an Büchern wehren.
Das heißt, es gehört auch viel Vertrauen dazu. Sagst du dann auch manchmal: Über dieses Buch reden alle, aber ihr werdet es wahrscheinlich nicht verkaufen?
Thomas-Schumann: Das hören sie jetzt, falls welche aus meinen Verlagen zuhören, gar nicht gerne, aber eigentlich wissen sie es auch, dass ich das mindestens so häufig sage wie "Nimm es". Das muss ich tun. Ich muss meine Kundinnen und Kunden auch schützen, weil ich wiederkommen möchte. Und genau wie du sagst: Es ist es auch eine vertrauensvolle Basis.
Das heißt also, du liest ganz viele Bücher und überlegst dann auch: Was könnte ein Erfolg werden. Nach welchen Kriterien gehst du da vor? Sind das Bücher, die dich einfach begeistern, sind das Bücher, von denen die Verlage sagen, die wollen wir gerne verkauft?
Thomas-Schumann: Würde ich nur die Bücher verkaufen, die mich begeistern, dann wäre ich schon pleite und meine Kunden würden mich wahrscheinlich nicht mehr empfangen. Man muss abstrahieren können und sagen: Für diese Bücher gibt es einen Markt. Es ist ein sehr professionelles Lesen. Man liest das vorab in Manuskriptform und dann gibt es die berühmten Vertretersitzungen, in denen der Verlag uns das jeweilige Programm, die jeweiligen Novitäten vorstellt. Die Cover werden da zum ersten Mal angeguckt, da wird über Marketingstrategien gesprochen, über Pressearbeit und so weiter. Da sitzt man tagelang zusammen, und am Ende dieser Tage hat der Verlag für sich sozusagen in dem Programm eine Struktur, und wir als Vertreterinnen und Vertreter wissen dann: Was sind die Bücher, die man nach draußen tragen muss - die flächendeckend vorhanden sein müssen.
Könnt ihr dann noch mitreden? Wenn du merkst, das ist ein toller Autor, ein tolles Buch, aber das Cover und der Titel passen nicht. Das kriegt man so nicht los. Darfst du dann Veto einlegen?
Thomas-Schumann: Man muss sich das so vorstellen: Der Verlag verkauft bei den Vertretersitzungen zum ersten Mal ein Programm, an dem er ein halbes Jahr oder länger gesessen hat – und zwar an uns, die da draußen rumfahren. Das ist sozusagen der Check für das Programm. Und dann sagen wir: Nein, dieses Cover geht gar nicht. Der Titel geht vielleicht auch nicht, da müssen wir irgendwie noch ran.
Also ein wichtiger Termin für alle Verlage - und auch ein bisschen gefürchtet. Wie viele Vertreter sind da ungefähr?
Thomas-Schumann: Es kommen die Kollegen aus Österreich und der Schweiz mit dazu. Ich glaube, wir sind so pro Verlag jeweils zehn.
Und dann sitzen da zehn Vertreterinnen und Vertreter und wenn die dann sagen: Das Cover geht gar nicht, dann nehmen die Verlage, also das Lektorat oder wer sich vorher für diesen Titel und das Cover entschieden hat, das schon sehr ernst.
Thomas-Schumann: Das sind aber nicht nur wir Vertreter. So eine Vertretersitzung nenne ich immer das Hochamt des Verlags. In den Sitzungen sitzt auch das Marketing, da sitzt die Presse - und alle reden natürlich mit. Das ist für alle der Realitätscheck.
Hast du irgendetwas gelernt oder studiert, dass du die Gestaltung etc. beurteilen kann? Oder ist das ein Bauchgefühl?
Thomas-Schumann: Man kann meinen Beruf nicht lernen. Bei mir ist es Erfahrung - und aus dem Bauch heraus. Ich bin jetzt seit fast 30 Jahren im Buchhandel tätig. Ich war vorher auch selbst Buchhändler.
Wie ist es mit neuen Medien - spielt beispielsweise Instagram für deinen Job eine Rolle?
Thomas-Schumann: Ja, zunehmend. Es ist nicht so, dass ich mich da jetzt jeden Tag auf Instagram zeige. Aber Buchhandlungen sind durch die Corona-Zeit, in der alles geschlossen war und die sich plötzlich alle zeigen mussten, plötzlich wahnsinnig aktiv geworden auf Instagram - mit unterschiedlichsten Formaten. Und denen folge ich sozusagen inkognito und gucke immer, was die machen. Die posten ja auch viele Bücher. Und manchmal mache ich auch etwas mit Buchhändlerinnen und Buchhändlern zusammen. Wir machen mal kleine Filmchen oder einen kleinen Adventskalender mit Buchtipps oder so. Da mache ich dann durchaus mit.
Mit Florian Valerius, bekannt als der "literarische Nerd", mache ich außerdem zwei-, dreimal im Jahr ein Insta-Live. Es hat gar keinen festen Namen, aber da stellen wir eine Stunde oder eineinhalb Stunden Bücher vor. Er bringt Bücher mit, ich bringe Bücher mit, wir sprechen uns nicht ab, wir betrinken uns währenddessen mit Weißwein. Und dann reden wir einfach drauf los und reagieren auf das, was der jeweils andere vorstellt. Manchmal gibt es wunderbare Parallelrealitäten, dass er das dasselbe Buch dabei hat wie ich oder umgekehrt. Wir machen einfach ein bisschen Spaß.
Das Gespräch führten Katharina Mahrenholtz und Jan Ehlert.