
Wie blicken Menschen in Russland auf den Krieg in der Ukraine?
Mit der szenischen Lesung "Um acht ist es hier schon hell" setzt sich Julia Solovieva mit der Sicht der Menschen in Russland auf den Krieg in der Ukraine auseinander. Im Interview spricht sie darüber.
Wie leben die Menschen in Moskau im Jahr 2025, drei Jahre nachdem Putin seine "militärische Spezialoperation" gegen die Ukraine gestartet hat? Mit dieser Frage beschäftigt sich die "Dramedy über das totalitäre Russland" "Um acht ist es hier schon hell" von Evgeni Mestetschkin und Julia Solovieva. Am Donnerstag ist Premiere im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses in Form einer szenischen Lesung.
Frau Solovieva, Sie stammen aus Kursk, sind in Moskau aufgewachsen, leben aber schon länger in Hamburg. Dramedy - das bedeutet, dass die Lesung sowohl dramatische, als auch komische Elemente aufweist. Wo haben Sie am russischen Angriffskrieg in der Ukraine denn etwas Humorvolles gefunden?
Julia Solovieva: Das hat mit der Figur, die ich erfunden habe, zu tun. Sie ist eine spannende Frau, die sehr viel Humor hat. Natürlich geht es um ernsthafte Sachen, aber trotzdem behält sie ihren Humor und wird vor allem selbstironisch.
Worum geht es in dieser szenischen Lesung genau?

Solovieva: Sie haben gefragt, wie heute Moskauer und Moskauerinnen, Russinnen und Russen leben, und meiner Meinung nach leben sie heute im Spannungsfeld zwischen Verdrängung und Widerstand. Ein Beispiel für Verdrängung ist das Gedicht von der russischen Schriftstellerin Maria Stepanova, das so beginnt: "Während wir schliefen, bombardierten wir Charkiw. Wenig später das Pfeifen des Teekessels. Die Schäfte der Kiefern um die Datsche scheinen auf in der Sonne. Die Fensterlädenvisiere des Sommers öffnen sich zu Liebkosung und Tränen. Das Morgenrot so rot." Dieses "Während wir schliefen, bombardierten wir Charkiw" ist für mich ein Sinnbild für das Verdrängen im heutigen Russland, weil viele Menschen so leben. Die ersten Monate nach dem Beginn des großen Krieges war für viele ein Schock. Und heute nimmt man die schlimmen Nachrichten irgendwie nebenbei auf; sie gehören zum Frühstück dazu.
Sie selbst haben mal gesagt, dass sie im Prinzip aus vier verschiedenen kulturellen Persönlichkeiten bestehen: einer russischen, einer ukrainischen, einer jüdischen und einer deutschen. Welche dieser vier Persönlichkeiten hatte beim Schreiben dieses Stoffes den größten Anteil?
Solovieva: Ich habe versucht, mich in den russischen Anteil hineinzuversetzen und aus dieser Perspektive zu schreiben. Ich habe sehr viel Kontakt mit meinen dortigen Verwandten, Freunden und Bekannten, und in Rahmen eines anderen Projektes habe ich auch Interviews mit Russen und Russinnen gemacht. Solange Putin da ist, wird Russland so bleiben wie Russland ist - eine Zeitlang auf jeden Fall. Ich glaube, dass es wichtig ist zu verstehen, wie die Menschen dort leben.
Wie leben Sie denn? Sind alle Ihre Verwandten, Ihre Freundinnen und Freunde regimetreu?
Solovieva: Die meisten meiner nahestehenden Leute, die Verwandten zum Beispiel, sind auf jeden Fall gegen den Krieg.
Sie dürfen das aber sicherlich nicht äußern, oder?
Solovieva: Genau, sie dürfen das nicht äußern. Am Anfang des großen Krieges war das möglich, aber jetzt überhaupt nicht mehr. Aber sie sprechen mit mir offen darüber. Meine Mutter, die über 80 ist, schaut YouTube-Kanäle mit russischen Oppositionellen und sie hört oppositionelle Sendungen. Aber einige meiner Klassenkameraden und einige Freundinnen und Freunde sind leider Teil von Putins Propaganda geworden.
Inwiefern können Sie denen das vorwerfen? Wenn man permanent mit dieser Erzählung zu tun hat - man hört ständig im Radio und im Fernsehen darüber -, nimmt man da nicht automatisch irgendwann diese Sicht der Dinge ein? Oder werfen Sie denen das tatsächlich vor?
Solovieva: Ich habe am Anfang des großen Krieges mit denen gestritten, und heute weiß jeder, wo er steht. Man streitet nicht mehr, aber natürlich kritisiere ich sehr, weil manche Unterstützer des Putin-Regimes sind und andere Profiteure.
Wie ist das mit ihren russisch-deutschen Freundinnen und Freunden, die hier in Deutschland leben?
Solovieva: Die meisten Freunde, die ich hier habe, sind gegen den Krieg und gegen Putin. Aber es gibt natürlich auch die, die anderer Meinung sind.
Das Gespräch führte Keno Bergholz.