Bildschöne Bücher: Evelyn Hofer porträtiert Dublin
Evelyn Hofers Städteporträts werden bis heute in Bildbänden neu aufgelegt. So auch jetzt der Band über Irlands Hauptstadt Dublin. Wer Hofer bisher noch nicht kannte, ist hier eingeladen, eine große Fotokünstlerin zu entdecken.
Wie so oft in der Kunst gibt es auch in der Fotografie Klassiker: Kamera-Künstlerinnen und Künstler, deren Kunstfertigkeit bei der Wahl des Bildausschnitts oder beim Spiel mit Licht und Schatten sofort ins Auge fällt, ganz gleich, wie alt ihre Bilder inzwischen sind. Zu diesen Klassikern zählt die 1922 in Hessen geborene Evelyn Hofer. Ihr Lebenswerk führte sie über die Schweiz und Spanien in die USA nach New York und nach Mexiko, wo sie 2009 starb.
Evelyn Hofer nähert sich Dublin über Porträts
Für eine Weile habe ich schon in diesem Bildband geblättert, habe Stück für Stück diese großartige Fotografin kennengelernt. Ihren Stil, sich einer ihr unbekannten Stadt wie Dublin nicht einfach über Bauwerke, Gemäuer, Denkmäler anzunähern, sondern über Porträts.
Lord Moyne in dunkler Samtweste zu hellgrauem Flanellanzug, sympathisch lächelnd vorm Kamin in einem schrecklich verplüschten Wohnzimmer. Die sehr bürgerlich wirkenden älteren Eheleute O'Donnell, sie in gerüschter weißer Bluse, auf einem Holzstuhl sitzend, er im Sonntagsstaat neben ihr, die rechte Hand ruht auf ihrem Rücken. "Revolutionäre" nennt die Bildunterschrift das Paar, und erst jetzt, auf den zweiten Blick, nehme ich den sehr selbstbewussten und entschlossenen Gesichtsausdruck der beiden wahr.
Ich habe die weiche Kurve der Bucht von Killiney im Südosten der Stadt bestaunt, die in einem dunstigen Hügel ausläuft, bevor sie ins Meer übergeht und mir gedacht: Auch dies ist ein wunderbares Schwarz-Weiß-Porträt; das Porträt einer Landschaft, eines wolkenschweren Himmels, einer struppigen Düne im Vordergrund.
Das Mädchen am Fahrrad: Ein kleines Wunder von Bild
Immer weiter blätternd habe ich schon längst eine Ehrfurcht entwickelt, vor dieser - man muss es so sagen - Künstlerin-Fotografin. Da entdecke ich auf einmal das kleine Mädchen auf dem Fahrrad. Oder besser: mit dem, naja, an dem Fahrrad, das viel zu groß ist für die vielleicht Sechsjährige. Gerade eben hatte sie sich noch darauf abgestrampelt, in ihrem dunklen Schuluniform-Kleidchen und den abstrus langen feuerroten Kniestrümpfen, während die Fotografin diese unscheinbare Wegkreuzung ins Visier nahm, die Kleine bemerkte und "Hey, stopp!" rief. Ein krummer Gartenzaun aus Metallstangen begrenzt den Bildrand, düsterkalte, schief hingehauene Backsteinhäuser lümmeln sich im Hintergrund und über allem hängt ein regennasser Himmel, glänzend wie das silbergraue Straßenpflaster. Die Kleine stoppt also, rutscht vom Sattel herab nach vorn, muss die kurzen Ärmchen fast hochrecken, um den Lenker noch festhalten zu können, schaut kindlich-nüchtern zu der fremden Frau mit dem großen Apparat auf dem Dreibein und fragt sich: "Was hat sie gerufen, was will die?" Den Hund hinten auf der Kreuzung kümmert die ganze Szene nicht weiter, er sieht aufmerksam woanders hin. Geschwind drückt die Fotografin den Auslöser - und hat ein kleines Wunder von Bild geschaffen.
"Einer der Leitsätze, nach denen Evelyn Hofer in ihrer Kunst lebte, lautete: 'In Wirklichkeit fotografieren wir Fotografen nur uns selbst in dem Anderen (...) die ganze Zeit.'
Da ist sie also, ein Erwachsenenrad haltend (...) Die Straße weigert sich zu trocknen. Sie steht da für einen traumhaften Moment, bevor sie wieder aufs Rad klettert und davonsaust nach Hause, in ein Leben, das zu groß ist für sie."
Leseprobe
So beschreibt der Dubliner Schriftsteller Hugo Hamilton im Nachwort diese eine Aufnahme, von der die Fotografin Evelyn Hofer selbst sagte: "Ich musste nichts verändern und nichts komponieren (...) es ist alles genau so, wie es ist: die Wolken und die Traurigkeit."
Ein Glücksfall, dass diese Bilder erneut als Bildband erscheinen
Unglaublich, dass ein Bild derartig heraussticht - aus einer Sammlung von Bildern, deren jedes besonders ist! Die beiden jungen Männer auf der Mauer am Kanal; Lederjacke, Schiebermütze, Haare in die Stirn gekämmt; die Waisenjungen im stuckverzierten Seminarraum, auf die der weißgewandete Priester beängstigend-paternalistisch von oben herabblickt; die drei Kinderwagen mitsamt Besatzung: Sechs kleine Augen durchbohren geradezu die zufällig vorbeikommende fremde Frau - die 1965/66 ihre eigenen Eindrücke von Irland in Fotografien festgehalten hat, von denen ich nur sagen kann: Was für ein Glück, dass der Steidl Verlag solche Kunstwerke noch einmal neu publiziert!
Dublin
- Seitenzahl:
- 152 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Steidl
- Bestellnummer:
- 978-3-95829-632-9
- Preis:
- 58 €
