"Gertrud Schwyzer - hoch begabt und schizophren": Bildband über Malerin
Ein neuer Bildband zeigt die Künstlerin Gertrud Schwyzer in neuem Licht. Ihre Bilder erzählen von einer Frau, die bis zum Ende eines geblieben ist: Aus tiefster Seele Künstlerin.
Vincent van Gogh hat uns ein bildgewaltiges Oeuvre hinterlassen, trotz oder womöglich wegen seiner Wahnvorstellungen und Depressionen. Es ist eine Frage, die die Kunstwelt zunehmend umtreibt: Ist es Kunst, wenn sie von Menschen geschaffen wird, die womöglich in Heilanstalten untergebracht sind und gar nicht ausstellen wollen?
Briefe und Dokumente von Gertrud Schwyzer vor dem Sperrmüll gerettet
Gertrud Schwyzer wird 1896 in Zürich geboren und stirbt gut 74 Jahre später. Auf der Urkunde des Bestattungsamts stand bei Beruf: "Gewesene Kunstmalerin". Ein Selbstportrait von Gertrud Schwyzer zeigt sie in Öl auf Leinwand: Mit ruhigem Blick fixiert sie die Betrachterin. Dunkle Haare, große, schokobraune Augen, schön geschwungene Lippen, ein markantes Kinn. Sonnenlicht fällt in ihren Nacken.
"Was war das für ein Mensch, der künstlerisch vollendet weitermalte, sein Innerstes nach außen stülpte und tausende von Werken aus der Anstalt hinterließ, zu unserem Staunen ausdrucksstarke Genres, Porträts und ein Meer von Blumen."
Das fragt die Kunsthistorikerin Johanna Schwyzer-Karl. Zufällig ist sie auf ein Bild von Gertrud gestoßen, hat angefangen zu recherchieren und, wiederum durch Zufall und großes Glück, ein Konvolut an Bildern, Briefen und Dokumenten vor dem Sperrmüll retten können. Gertrud Schwyzer studierte nach einigen Umwegen Malerei, an der staatlichen Kunstakademie München, 1923, unterstützt von ihrem Onkel:
"Liebe Trud, habe soeben telegraphiert, den Brief an Hedinger noch nicht abzugeben, da zu früh. Der letzte Februar genügt für 1. April Kündigung. (...) Die Weltlage ist im Moment so verworren, dass man nicht mit absoluter Sicherheit darauf rechnen kann, dass du im April nach Deutschland kommst. Deswegen würde ich die Kündigung nicht weit voraus machen, sondern auf den Termin. Man kann momentan nicht wissen, ob nicht Russland über Polen herfällt. (...) Ich erwarte allerdings, dass die verschiedenen Kampfgelüste sich wieder abkühlen, aber jedenfalls kündige erst auf den Termin. (...) Herzlichsten Gruß von deinem alten Onkel F.
Gertrud Schwyzer: Ohne Hoffnung auf Heilung
Gertrud war in München eine der ersten Frauen, die Malerei studieren konnte. Sie musste namhafte Lehrer und Kommilitonen gehabt haben. Doch sie war krank. In einem Gutachten von 1942 steht: "Gertrud Schwyzer: 'Weitgehend verblödet'" - und ohne Hoffnung auf Heilung im Zustand "schwerer Defektschizophrenie". Mehr als 42 Jahre hat Gertrud in einer Schweizer Heil- und Pflegeanstalt verbracht, bis zu ihrem Tod. Sie hat nicht durchgängig gemalt: "Ich bin verschnitten. Ich sehe und höre nichts mehr", so sagte sie es zwischenzeitlich.
Doch hat sie in dieser Zeit 3.000 Werke geschaffen, Zeichnungen und Aquarelle. Farbenfroh sind sie, die Tuschezeichnungen der Innenräume, die Kleider und Haare der anderen Patientinnen. Stumme, sitzende, wartende Menschen. Blumen, Blätterranken, überall. Zwischen den Bildern tauchen Worte und Textfetzen auf. Der Ort, an dem gemalt wurde, ist hier unerheblich. Diese Bilder erzählen von einer Frau, die bis zum Ende eines geblieben ist: Aus tiefster Seele Künstlerin.
(Hinweis der Redaktion: Unsere Rezensentin Andrea Schwyzer war sehr erfreut, mit dem Bildband etwas ganz Neues über die Geschichte ihrer weit verzweigten Familie zu erfahren.)
Gertrud Schwyzer hoch begabt und schizophren
- Seitenzahl:
- 160 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Hirmer
- Bestellnummer:
- 978-3-7774-3837-5
- Preis:
- 29,90 €