Stand: 28.02.2020 13:06 Uhr

"Masculinities": Zwischen Inszenierung und Wirklichkeit

von Benedikt Scheper

"Wann ist ein Mann ein Mann?", fragte schon Herbert Grönemeyer leicht ironisch in seinem Hit und begeisterte damit Millionen. Doch längst gehen auch Gender-Forscher der Frage nach, was eigentlich Männlichkeit wirklich ausmacht, ob es den stereotypen Mann gibt und inwiefern sich das Bild vom Mann wandelt in Zeiten, in denen verschiedene Entwürfe von Männlichkeit in vielen freien Gesellschaften möglich sind. Eine neue Ausstellung in der Londoner Barbican Gallery zeigt nun, wie Fotografie den Wandel und die Emanzipation des Mannes dokumentiert hat. Der Katalog zur Ausstellung heißt "Masculinities. Liberation through photography".

Sanft schwappen kleine Wellen gegen die Christopher Street Pier von Manhattan. Ein bärtiger Mann liegt auf einer Holzplanke und sonnt sich. Er trägt Jeans-Shorts und Wanderstiefel mit weißen Socken. Ein Paradebild des Schwulen Mitte der 70er-Jahre.

Das heterosexuelle Pendant: Ein muskulöses Modell trägt mit nacktem Oberkörper und ölverschmiertem Gesicht breite Reifen durch eine Werkstatt. In der inszenierten Pose erinnert der Beau mit verwuschelten Haaren an eine antike Statue. Kraftvoll, viril und dominant. Selbstbewusst und makellos blickt er in die Kamera des US-Star-Fotografen Herb Ritts.

Das Bild vom Mann im Wandel der Zeiten

Zwei Fotografien, zwei Männer, zwei Welten. Der neue Band zeigt, dass lange tradierte Bilder vom vermeintlich starken Geschlecht fotografiert wurden, was so auch ein archetypisches Bild von Männlichkeit konservierte. Aber der Katalog mit mehr als 300 Fotografien zeigt auch Abweichungen von solchen Klischees.

"Es geht darum zu reflektieren, nicht nur wie man ein "Mann" ist, sondern auch, wie man einer wird. Es geht um die nötige Befreiung des Mannes aus den sehr engen Gender-Grenzen, die auch die Geschlechter-Hierarchie erst ermöglichen, also die sozialen Strukturen und Geschlechter-Ordnungen, die nicht nur uns definieren, sondern auch wie wir welchen Lebensstil leben können und uns auf bestimmte Weise auch benehmen dürfen", sagt Herausgeberin Alona Pardo.

Überholte Männlichkeitsbilder werden immer noch zelebriert

Mit ihrem neuen Band versucht sie, fotografisch zu dokumentieren, wie genau in den letzten Jahrzehnten Männer-Rollenbilder mehr Facetten bekommen haben als nur "Hetero" und "Homo". Auch wenn sich mancher Cowboy oder Rugby-Spieler auch heute noch nur schwer von alten Mustern lösen kann.

Ob Profi-Sportler, die demonstrativ locker wirken, während sie nach einem Sieg gemeinsam in einem großen dampfenden Becken baden, so als ob sie sich gerade im Adamskostüm gegenseitig ihr Bekenntnis zu heteronormativen Standards versichern wollten. Oder College-Jungs, die nur mit Skistiefeln bekleidet durch eine johlende Menge schreiten, um das Initiationsritual einer Studentenverbindung zu absolvieren, das letztlich nur ein Männlichkeitsbild zelebriert und reproduziert, das eigentlich überholt sein sollte.

"Fotografie hat die einzigartige Möglichkeit, diese weltweiten Entwicklungen der Männlichkeit zu reflektieren. Künstler haben in ihren Studios dazu Arbeiten produziert, die ähnlich aussagekräftig, wenn auch manchmal eher idealisierte Vorstellungen sind. Insofern bieten die Bilder Schnappschüsse der Realität, auch wenn sie nicht immer authentisch sind", meint die Herausgeberin.

Viele Fotos stellen herrschende Klischees in Frage

Das Buch lotet den Mann in allen Positionen und Funktionen aus: ob als Ehepartner, Vater, Manager oder Arbeiter. Dabei entfalten die farbigen und schwarz-weißen Aufnahmen ein Panorama mäandernder Maskulinität.

"Die Idee ist, hypermaskuline Klischees und Ideale von Männern zu destabilisieren und zu hinterfragen", erklärt Pardo. "Ob den Stierkämpfer, den Athleten oder den Bodybuilder, die den weißen heterosexuellen Mann als groß, stark und potent definieren. Denn die Fotografen produzieren andere Bilder von männlicher Identität, Sexualität und Gender."

Beeindruckend - Fotos, die Erwartungshaltungen komplett zuwiderlaufen, wie händchenhaltende, geschminkte Taliban, die mit Rouge auf den Wangen das Bild vom patriarchalen Terroristen konterkarieren. Aber auch Fotos, die an lange eingeschränkte und benachteiligte Männlichkeitsentwürfe erinnern, wie eine Serie über Afroamerikaner. Denn ob sich der kleine schwarze Junge, der lächelnd Basketball spielt, zu einem selbstbewussten Mann entwickeln kann, lassen die Bilder offen. Alle Fotos sind zerknittert und verkratzt, als würden sie den Betrachter auffordern, hinter die Oberfläche von Männlichkeitsbildern zu blicken.

Masculinities. Liberation through photography

von Alona Pardo (Hg.)
Seitenzahl:
320 Seiten
Genre:
Bildband
Zusatzinfo:
Mit Beiträgen von Tim Clark, Edwin Coomasaru, Ekow Eshun, Jonathan D. Katz - Hardcover (engl.), 22,8 x 32,0 cm, 340 farbige Abbildungen
Verlag:
Prestel
Bestellnummer:
978-3-7913-5951-9
Preis:
49,95 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 01.03.2020 | 17:40 Uhr

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Fotografie

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