Bibliothekssterben in MV: Braucht es noch die Bücherhallen?
Im ländlichen Raums sterben die Bibliotheken. Das ist vor allem in Mecklenburg-Vorpommern zu beobachten: Gab es 2002 noch 154 öffentliche Bibliotheken, schrumpfte die Zahl bis Ende 2022 auf 94. Ein Beispiel aus der Kleinstadt Grimmen.
Das weiße Schild mit der schwarzen Aufschrift "Stadtbibliothek und Sporthalle Südwest" steht noch am Straßenrand. Zweige und Blätter einer Birke hängen über dem dicken schwarzen Richtungspfeil, der ebenfalls noch auf dem Schild zu finden ist. Doch dorthin, wo der Pfeil zeigt, ist keine Bibliothek mehr. Die Räume werden jetzt von der Ukrainehilfe genutzt.
Als vor einem Jahr klar war, dass die Bibliothek zum Jahresende dicht macht, wurden die Schulen und Kitas in Grimmen darüber informiert, dass sie kostenfrei Nachschlagewerke, Sachbücher, Kinder- und Jugendbücher für ihre Bibliotheken heraussuchen können. Das Angebot wurde ausgiebig genutzt. Die restlichen Bücher gingen an den Strukturförderverein Trebeltal. Die Reaktionen der Bürgerinnen und Bürger auf die Schließung sind damals wie heute gemischt: "Ich meine, wir dürfen nicht viel dazu sagen, wir haben sie nicht genutzt", sagt ein Mann. Die Nutzerzahlen waren stark rückläufig. Am Ende besaßen noch 240 der knapp 11.000 Grimmener einen Bibliotheksausweis. Die Stadt Grimmen hatte zuletzt pro Jahr 70.000 Euro an Zuschüssen gezahlt, um die Bibliothek offen zu halten. Die Stadt steckt seit Jahren in den roten Zahlen. Das Defizit allein in die diesem Jahr gut zwei Millionen Euro.
Büchertauschbörsen statt Bibliothek
"Natürlich wäre es schöner gewesen, wenn man eine richtige Stadtbibliothek hätte", sagt Bürgermeister Marco Jahns. "Aber die eine Seite ist das Wünschen und das andere ist das Leisten. Es gibt ja immer noch die Möglichkeit. Man kommt ja an die Bücher ran." Damit meint Grimmens Bürgermeister Büchertauschbörsen, die sind zum Beispiel im Rathaus, in der Begegnungsstätte Klönstuf oder in der DRK-Station. Dort, wo Menschen sich begegnen. "Die werden gut angenommen. Das war auch für uns auch positiv, dass man gesehen hat: Die, die noch lesen möchten und auch den Austausch wünschen, die nehmen das auch tatsächlich wahr", sagt Citymanager Thorsten Erdmann. Zudem gebe es regelmäßig Bücherflohmärkte. "Da liegen dann auch schon mal 2.000 bis 3.000 Bücher im Kulturhaus auf den Tischen."
Schließungen belasten die bestehenden Bibliotheken zusätzlich
Wer bei einer Bibliothek nur an das Ausleihen und Austauschen von Büchern denkt, verstehe nicht, welche grundlegenden Aufgaben Bibliotheken heute wahrnehmen, sagt Anja Mirasch. Sie ist im Vorstand des Landesverbandes des Deutschen Bibliotheksverbands in Mecklenburg-Vorpommern und seit sieben Jahren die Leiterin der Stadtbibliothek Greifswald. "Die Kommune hat eigentlich auch die Pflicht, ein Bildungsangebot für die Bevölkerung vorzuhalten. Bibliotheken sind heutzutage nicht mehr die Orte für Bücher. Bibliotheken sind heute Orte für Menschen", schildert Mirasch. Schon jetzt häufen sich laut Mirasch die Anfragen von Schulen aus Grimmen für Veranstaltungen rund um die Themen schulische und politische Bildung bei den Bibliotheken in Stralsund und Greifswald, die diese Aufgaben zusätzlich übernehmen müssen. "Die Schließung der kleinen Bibliotheken geht zu Lasten der größeren Bibliotheken."
Auch wenn Anja Mirasch Entwicklungen wie in Grimmen nicht gefallen können, blickt sie dennoch positiv in die Zukunft. Sie ist fest davon überzeugt, dass Bibliotheken wieder an Bedeutung gewinnen. "Ich wage die Prognose, dass wir uns wirklich in den nächsten zehn Jahren als Bibliotheken rasant in den Besucherzahlen entwickeln werden", sagt Mirasch. "Viele Bibliotheken werden einen Zustrom an Besuchern aus Gründen der Nachhaltigkeit oder aus Gründen der günstigen Preise haben." Vielleicht könnte sich es dann auch für die Stadt Grimmen wieder lohnen, einfach mal darüber nachzudenken, ihre kleine Bibliothek zu reaktivieren.