Frauen in der Reisefotografie
Es gibt sie auf Instagram zu Hunderten, wenn nicht zu Tausenden. Selbsternannte Reise-Blogger und Travel-Influencer. Frauen und Männer in Selfie-Pose vor Sehenswürdigkeiten. Austauschbar. Beliebig. Stereotyp. Das findet Fotografin Alina Rudya und möchte das mit dem von ihr gegründeten Bell Collective ändern. Jetzt ist ein Bildband mit sehenswerten Fotos erschienen.
"Ich dachte, dass unser Kollektiv ein Buch rausbringt. Ich dachte nicht, dass es so schnell passiert." Alina Rudya ist überrascht und stolz gleichzeitig. Die Fotografin ist eigentlich auf Instagram unterwegs. 73.000 Follower zählt die in Berlin lebende Fotografin. Nun wagt sie den Sprung von Digital zu Analog. Von Social Media zum alten neuen Medium Buch. "Die Menschen nehmen so etwas viel ernster, weil Social Media sehr skeptisch angesehen wird", sagt Rudya. "Man kann reinschauen. Man kann blättern. Alle unsere Ideen zusammen in einem Buch auf dem Tisch haben."
14 Fotografinnen - 14 Sichtweisen
Benannt hat sie ihr Kollektiv nach der britischen Forschungsreisenden, Historikerin, Schriftstellerin und Alpinistin Gertrude Bell, die um 1900 als eine der ersten Frauen allein durch die Welt zog und sich in der von Männern dominierten Szene behauptete. Und das tun die 14 Fotografinnen vom Bell Collectiv ebenfalls. Und zwar auf ganz unterschiedliche Art und Weise. So zeigt die Schweizerin Martina Bisaz auf ihren Reportagereisen melancholische Plätze, die sie mit ihrem alten Bulli ansteuert. Ob es der Morgennebel über dem Stazersee in Graubünden ist oder die warmen Farben des marokkanischen Wüstenstädtchens Tinghir, die Bilder strahlen eine tiefe Ruhe - aber auch Einsamkeit aus.
Ganz anders die Fotos der Schwedin Tekla Evelina Severin. Knallige Farbkontraste prägen ihren Stil. "Mit den Bildern drücke ich die Freude aus, sehen zu können", sagt die 38-Jährige. Die gelb-orange leuchtende Innenausstattung der letzten Stockholmer U-Bahn. Ein Kaktus kerzengerade hinter einer hellblauen Wand vor einem orange-lila schimmernden Sonnenuntergang auf Teneriffa. Ihre Bilder geben - an die Wand gehängt - jeder tristen Wohneinrichtung wieder Lebensfreude und Lebensmut.
Frauen haben eine andere Expertise
Alina Rudyas Arbeiten im Buch sind geprägt durch grafische Klarheit. Aber in ihnen schwingt auch immer ein Stück Poesie mit. "Ich habe immer gedacht, dass meine Bilder Geschichten erzählen. Das ist visuell schön, aber nicht traditionell schön. Dass es Interesse weckt und die Menschen mehr wissen wollen, nachdem sie ein Bild gesehen haben", sagt die Herausgeberin. So wirken ihre Bilder der namibischen Geisterstadt Kolmanskop, in der der Wüstensand sich seinen Weg durch verlassene Häuser gebahnt hat, keineswegs beängstigend, eher malerisch.
Der Band ist aber nicht nur eine Sammlung großartiger Reisefotografie, er ist auch der Versuch, die Arbeit der im Bell Collective versammelten professionellen Fotografinnen zu würdigen. "Ich glaube, gesellschaftlich und geschichtlich ist es so: Eigentlich ist es egal, wie talentiert du bist, am Ende bist du trotzdem eine Minderheit als Fotografin." Das will Alina Rudya ändern, die Perspektive weiten. "Natürlich gibt es Themen, bei denen Frauen eine größere Expertise haben. Aber insgesamt finde ich, gibt es keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen Männer- und Frauenfotografie, wenn es um Qualität geht oder um technische Besonderheiten." So ist das Buch mehr als ein Fotoband von Frauen. Es ist ein Statement. Eins, das nicht durch Lautstärke, sondern durch Qualität überzeugt. Allen versammelten Fotografinnen gehört ein vorderer Platz bei Reisereportagen.
Bell Collective. Unterwegs mit den neuen Pionierinnen der Reisefotografie
- Seitenzahl:
- 256 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Mair-Dumont
- Bestellnummer:
- 978-3770182268
- Preis:
- 34,90 €