Stand: 07.08.2015 15:00 Uhr

"Wir waren jung und nichts lenkte uns ab"

Vor rund 50 Jahren schrieben Tim Rice und Andrew Lloyd Webber das Musical "Jesus Christ Superstar". NDR 90,3 hat mit Tim Rice 2015 gesprochen.

Der britische Musical-Autor Tim Rice © imago/CTK Photo
Für den heute 70-jährigen Musicaltexter Tim Rice brachte "Jesus Christ Superstar" den Durchbruch.

Tim Rice hat das Stück gemeinsam mit Andrew Lloyd Webber geschrieben - er den Text, Webber die Musik. Es war für beide der Durchbruch. Im Interview mit NDR 90,3 erinnert sich Tim Rice an diese Zeit.

Warum funktioniert "Jesus Christ Superstar" nach so vielen Jahren immer noch als Musical?

Tim Rice: Ich habe keine Ahnung (lacht). Es ist einfach eine Geschichte, die nie ihren Reiz verloren hat. Sie ist schon 2.000 Jahre in der Welt. Und dann machen noch einmal 30 oder 40 Jahre mehr keinen großen Unterscheid. Dazu kommt, dass Andrews Musik sehr eingängig ist. Es gab über die Jahre viele gute Produktionen, auch einige nicht so gute, aber das Musical hat überlebt. Es ist einfach die Kombination von einer tollen Geschichte mit einigen schönen Songs.

Erinnern Sie sich, warum Sie damals überhaupt ein Musical über Jesus, Judas und ihre neue Sicht auf das Evangelium geschrieben haben?

Rice: Wir wollten etwas fürs Theater schreiben. Damals wollte aber noch niemand etwas von uns fürs Theater haben. Und so schrieben wir das Stück für uns und versuchten einfach eine rockigere Geschichte ohne echtes Buch dahinter. Wir wollten eine neue interessante Geschichte erzählen, und nahmen deshalb eine Geschichte, die lange nicht mehr fürs Musiktheater erzählt wurde. Wir wollten damals unbedingt etwas schaffen, waren von der Idee allerdings auch nicht ganz überzeugt. Wir sind es in der Hoffnung angegangen, dass dieses Stück am Ende woanders hinführen könnte.

War es einfach, das Stück zu schreiben, oder war es ein Kampf und ein Ringen mit Tabus?

Rice: Wir waren jung, enthusiastisch und nichts lenkte uns ab. In dieser Hinsicht war es eigentlich leicht. Wir haben nicht versucht, irgendjemanden zu kopieren. Alle Ideen kamen von Andrew und mir. Da schaute uns niemand  über die Schulter, der sagte: 'Tu dies!' oder 'Lass das!' Es gab keinen Produzenten und keinen Regisseur, der sich einmischen konnte. Wir hatten die komplette Kontrolle. Wenn man jetzt etwas schreiben will, besonders als jemand mit einem Namen in der Branche, dann muss man sich mit Regisseuren, Produzenten, Autoren und Schauspielern auseinandersetzen. Und das von Anfang an. Das kann zum Problem werden.

Es gab und gibt bis heute Proteste konservativer Christen gegen das Musical. Haben Sie Verständnis für deren Zorn?

Rice: Ich denke schon. Aber eine große Zahl der Demonstranten damals hatte das Stück nicht mal gesehen oder gehört. Sie dachten einfach, dass etwas, das mit der verhexten Welt des Rock 'n' Roll oder der Popmusik zu tun hat, einfach nicht mit einem Thema wie Jesus umgehen könnte. Das ist Unsinn. Und wenn man sich das Stück ganz genau anschaut, steckt da eigentlich überhaupt nichts Schockierendes drin. Es erzählt eine großartige Geschichte in einer neuen Weise - nämlich durch die Augen von Judas Ischariot. Gerade das hat wohl viele Menschen angesprochen, denn mit Judas konnten sie sich identifizieren. Es ist einfacher, sich mit ihm zu identifizieren als mit Jesus. Wer sich für Jesus hält, wird schnell mal weggesperrt (lacht).

Jedes Jahr gibt es viele Produktionen des Musicals - von Profis und von Laien. Haben Sie schon mal eine verboten, weil sie zu weit vom Original entfernt war?

Rice: Das Problem ist ja, dass man erst nach der Premiere weiß, was bei einer Produktion rauskommt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir im Laufe der Zeit eine oder zwei Aufführungen verboten, und es auch Leuten untersagt haben, bei denen wir das Gefühl hatten, dass sie das nicht stemmen können. Immerhin gibt es bis heute jedes Jahr auch viele Schul-Produktionen. Und die sind oft richtig gut. Es ist also schwer, es jemandem im Vorfeld zu verbieten, weil man dann möglicherweise etwas Brillantes verhindert.

In der neuen Produktion, die jetzt auch in Hamburg zu sehen ist, gibt es eine wirklich sehr brutale Kreuzigungsszene. Nach anderthalb Stunden einer Hippie-Version des Neuen Testaments kommt plötzlich eine minutenlange ultra-realistische Hinrichtung. Passt das zum Musical?

Szene aus der Rockoper: Jesus am Kreuz © Funke Media Foto: Pamela Raith
"Die Bühnendarstellung einer Kreuzigung muss grausam sein", sagt Tim Rice.

Rice: Auch wenn im Musical Songs im Stil des 20. Jahrhunderts über Dinge gesungen werden, die vor 2.000 Jahren geschehen sind, sollen die Handlung und die Charaktere doch realistisch sein. Eine Kreuzigung muss doch finster sein, weil es ein fürchterlicher Tod ist. Wenn man eine Komödie macht, wie Monty Python's 'Das Leben des Brian', dann kann man da einen lustigen Song platzieren. Aber wir waren keine solche Show, und wir waren zehn Jahre vor dem 'Leben des Brian'. Die Bühnendarstellung einer Kreuzigung muss grausam sein. Es wäre ein Fehler, darauf zu verzichten.

Haben Sie nach den all den Jahren einen Lieblings-Song aus dem Musical?

Rice: 'I Don't Know How to Love Him' ist wahrscheinlich der beste Song. Er funktioniert wunderbar im Kontext des Stücks. Ich mag auch 'Everything's Allright' sehr. Das wird in der Regel auch sehr schön gesungen und hat wunderschöne Harmonien. Ich weiß, dass das Stück auch ein paar schwache Momente hat. Aber dann sind da auch wieder genau diese Momente, die richtig gut funktionieren, so dass dir die Zuschauer die schwächeren Augenblicke verzeihen.  

Das Interview führte NDR 90,3 Autor Daniel Kaiser.

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Kulturjournal | 07.08.2015 | 19:00 Uhr

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Musicals

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