Strukturwandel: Wie begegnen norddeutsche Innenstädte dem Leerstand?
In vielen Städten veröden die Innenstädte. Große Kaufhäuser schließen und bleiben leer, Ketten dominieren die Einkaufsmeile und Inhaber kleinerer Läden können sich die Mieten nicht mehr leisten. Ein Gespräch mit der Autorin Kristine Bilkau.
"Nebenan" heißt der neueste Roman von Kristine Bilkau. Er spielt in Norddeutschland und in ihm spielt die Frage, wie sich der öffentliche Raum und Orte der sozialen Interaktion entwickeln, eine wichtige Rolle.
Sie haben für das Buch umfänglich recherchiert und haben sich viele verschiedene Städte angeschaut. Warum haben Sie vor allem kleinere Städte besucht?
Kristine Bilkau: Für mich hat sich das so nach und nach aufgebaut. Ich bin selbst in einer Kleinstadt in der Nähe von Hamburg aufgewachsen. Ich war vor allem in norddeutschen Städten unterwegs, wo ich mich heimatlich fühle. Städte wie Itzehoe, Elmshorn oder Rendsburg. Ich habe erstmal auf die leerstehenden Geschäfte geachtet, was die eigentlich erzählen und was sie mit mir als Person emotional machen. Dann habe ich angefangen, darüber nachzudenken, warum mich das interessiert. Dann habe ich festgestellt: diese Innenstädte und diese leeren Schaufenster, die erzählen etwas über das Miteinander.
Wenn ich durch diese Innenstädte wandere, dann löst das bei mir eine gewisse Beklemmung aus. Wie war das denn bei Ihnen?
Bilkau: Absolut. Natürlich macht sich da so ein Gefühl von Beklemmung breit. Gerade im norddeutschen Herbst oder an einem norddeutschen Februartag, wenn es so ein bisschen grau und verregnet ist. Genau das habe ich mich dann auch gefragt. Ich erinnere mich an die Zeit, als ich Kind und Teenager war, dass man seine Umgebung sehr intensiv wahrnimmt. Und was ist denn, wenn da auf einmal so ein Leerstand ist. Und dann die nächste Frage: Warum ist das so? Und wer kümmert sich darum?
Bleiben wir mal bei dem 'Warum ist das so'? Was sind Deutungsmodelle, die Ihnen noch aufgefallen sind?
Bilkau: Mir ist erst einmal aufgefallen, dass es Anzeichen eines Umbruchs sind. Darüber wird dann ja auch viel geredet. Liegt das am Online-Handel? Gehen die Leute weniger in die Stadt und kaufen ein? Liegt es an den steigenden Mietpreisen? All das habe ich dann auch nach und nach recherchiert. Wenn ich auf solche Recherche-Rundreisen gegangen bin, bin ich aber auch oft in Geschäfte gegangen und habe einfach mal gefragt. Da war das zum Beispiel auch, dass es ganz viel darum ging, dass die Mieten gestiegen sind und dass die Nachfragen aber gesunken sind. Und dass das dann einfach nicht im Verhältnis steht. Das erzeugt weiteren Leerstand und dadurch wird es natürlich immer schwieriger, für einzelne Personen etwas zu eröffnen. Das Risiko wird ja immer höher.
Es gibt ja Sonderfälle: Buchhandlungen oder die Bäckerei, wo alle hingehen. Besondere Orte, wo es einen gemeinsamen Willen gibt und die überleben dann. Bei anderen geht es einfach immer weiter den Bach runter. Haben Sie da Unterschiede herausfinden können?
Bilkau: Es gibt auch diese Städte im Norden, da ist es ganz anders. Zum Beispiel Eckernförde, da ist die Stadt eigentlich immer voll. Und da sieht man auch weniger Leerstand. Das sind dann aber auch Städte, die natürlich logistisch zusätzlich attraktiv sind. Eckernförde liegt direkt am Wasser. Von der Altstadt kann man direkt an den Strand kommen.
Die Städte, die so ein bisschen im Inland liegen, die vielleicht auch nicht unbedingt vom Tourismus profitieren, die tun sich teilweise ein bisschen schwerer. Ich bin ja keine Expertin dafür. Ich habe das vor allem aus der literarischen, menschlichen und psychologischen Sicht beleuchtet. Aber von dem, was ich wahrgenommen habe, ist es einfach sehr, sehr kompliziert. Warum eine Stadt oder eine Region plötzlich strukturschwächer ist als die andere, das hat dann auch teilweise mit Arbeitsplätzen und Wirtschaftskraft zu tun. Was auf jeden Fall feststeht, ist, dass sich da so eine Abwärtsdynamik entwickeln kann. Wenn da ein großes, leeres Kaufhaus seit Jahren vor sich hinrottet und dazu noch vielleicht eine kleine Einkaufspassage, dann ist das schwer, diese Dynamik aufzuhalten und wieder umzukehren.
In dem Roman "Nebenan" erzählen Sie die Geschichte von zwei Frauen, die in einer namenlosen Kleinstadt am Nord-Ostsee-Kanal leben. Die Protagonistinnen leben in einer Welt, die langsam immer entvölkerter wird. Was macht das mit den Protagonistinnen?
Bilkau: Es schleicht sich so ein Unbehagen bei den Figuren ein. Dass sie genauer hinschauen auf ihr Miteinander - wie stabil dieses Miteinander ist. Die Orte kamen für mich damit ins Spiel, weil sie für mich wie so eine Art Spiegel gearbeitet haben. Wenn man sich fragt, wie stabil ist soziales Miteinander, dann kann man sich als nächstes fragen: Wo findet denn dieses Miteinander ganz konkret statt? Und da kommt man ganz schnell zu diesen Geschäften und Marktplätzen, wo dann immer weniger los ist. Da bröckelt so ein bisschen die Zuversicht weg. Ich glaube, Zuversicht ist auch für eine Gesellschaft und für den Einzelnen wahnsinnig wichtig.
Gibt es Modelle, die Sie irgendwo erlebt haben, die dagegen angehen? Wo man gute Ideen entwickelt hat, diese Entwicklungen, die ja überall in Deutschland passieren, zu verändern?
Bilkau: Es gibt schon Beispiele, wo dann erst einmal das Engagement der Bürger und Bürgerinnen gefragt ist. Ich glaube, dieses Engagement und dieses Interesse, das gibt es immer in einer Stadt und in einer Community. Die Frage ist, wie leicht wird den Menschen das ermöglicht? Wie viel Raum ist dafür da, dass einzelne Leute etwas ausprobieren können? Da sind auch ganz stark die Eigentümer dieser Immobilien gefragt. Wenn das dann tatsächlich Eigentümer sind, die in der Region selber ansässig sind, die diesen direkt Kontakt haben, dann funktioniert das natürlich gut. Wenn aber die Eigentümer irgendwelche internationalen Firmen sind, dann wird es natürlich schwieriger. Da kommt dann einfach keine Bewegung rein. Überall dort, wo Raum für Experimente und für Bewegung ist, da merkt man, dass etwas passiert.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.