Das Kaufhaus: Vom Konsumtempel zum Schandfleck
Heute gelten Kaufhäuser als Auslaufmodell, machen mit Insolvenzen Schlagzeilen. Ende des 19. Jahrhunderts hingegen zogen sie Menschen in Scharen an. Über den Aufstieg und Fall von Wertheim, Karstadt und Tietz.
Als "Kathedralen des modernen Kommerzes" zeichnete der französische Schriftsteller Émile Zola 1884 die neuen Warenhäuser in "Das Paradies der Damen". Musste die Kundschaft Anfang des 19. Jahrhunderts noch von Geschäft zu Geschäft hasten, um ihre Einkäufe zu erledigen, konnte sie nun alles unter einem Dach besorgen. "Kleidung, Spielwaren, aber auch Möbel, Lebensmittel und alle möglichen Produkte des alltäglichen Bedarfs, aber auch viele Luxusgüter", zählt die Historikerin Nadine Garling die umfangreichen Waren auf.
Eine repräsentative Architektur sollte den Überfluss im Innern auch von außen sichtbar machen, erklärt Garling. Neubauten wie das Berliner Warenhaus Wertheim überwältigten durch ihre schieren Dimensionen: Ein Lichthof, der von einem Glasdach gekrönt wurde, bildete das Zentrum des Konsumtempels. Ringsherum schraubten sich Galerien mit gigantischen Verkaufsflächen in die Höhe.
Kaufhäuser standen für Luxus
"Diese vertikale Fassadengliederung, die elektrische Beleuchtung, repräsentative Treppenaufgänge, große, meterlange Schaufenster, eine Dachterrasse: All das waren Elemente, die dieses Sakrale, dieses Luxuriöse auch prägten", so Garling. 1897 wurde das Haus am Leipziger Platz eröffnet und schon bald zur Sehenswürdigkeit für alt und jung, arm und reich: "'Wir gehen zu Wertheim' war so ein geflügeltes Wort für 'wir machen einen Ausflug' und lassen es uns gutgehen. Auch der Schaufensterbummel nahm in diesen Zeiten seinen Anfang."
Die Voraussetzung für das breite Sortiment der Kaufhäuser sieht die Historikerin Garling in der Industrialisierung der Warenproduktion im 19. Jahrhundert: "Man musste einen Ort schaffen und kreieren , der diese unterschiedlichen Produkte aufnimmt. Dort konnte man dann alles anbieten."
Stralsund: Geburtsstadt des deutschen Kaufhauses
Die Geburtsstadt des deutschen Kaufhauses heißt aber nicht Berlin, sondern Stralsund. Hier führten die Brüder Georg und Hugo Wertheim zuerst die Verkaufsregeln ein, die zum Prinzip moderner Warenhäuser wurden: "Dazu gehören: feste Preise, ein Umtauschrecht, ein Rückgaberecht. Von Stralsund nahm die Entwicklung ihren Lauf. Es wurden Filialen eröffnet. Im Fall von Wertheim zuerst in Rostock und dann in Berlin", erläutert Garling.
Antisemitische Anfeindungen gegen Tietz und Wertheim
Auch die Kaufhauskette Tietz, die nach Wuppertal und ins Rheinland expandierte, hatte im norddeutschen Stralsund ihr Stammhaus. Weil beide Familien jüdisch waren, machte sich der Neid auf ihren Erfolg von Anfang an in Antisemitismus Luft: "Eine Zäsur gab es dann gleich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten mit dem Boykott jüdischer Geschäfte und Warenhäuser am 1. April 1933 und der anschließenden Enteignung der Warenhauseigentümer."
Konkurrenz durch Einkaufzentren und Online-Shopping
Die Familien wurden ihres Besitzes beraubt und ins Exil getrieben, ihre Häuser - wie es im Nazi-Jargon hieß - "arisiert". Nach 1945 machten die neuen Eigentümer weiter, als wäre nichts geschehen. Aber die goldene Ära der Warenhäuser ging zu Ende. In den 1960er-Jahren bekamen die Konsumtempel in den Innenstädten Konkurrenz durch neue Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Heute machte das Online-Shopping dem Verkauf in den Filialen den Garaus. Es ist abzusehen, dass die "Kathedralen des Kommerzes" ihren Glanz in Zukunft wohl nur noch im Museum verstrahlen.