Ordner mit Aufschrift Antisemitismus neben einem Richterhammer und einen Paragraphensymbol © picture alliance / CHROMORANGE Foto: Michael Bihlmayer
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AUDIO: Warum lässt sich Antisemitismus juristisch so schwer einordnen? (5 Min)

Warum lässt sich Antisemitismus juristisch so schwer einordnen?

Stand: 22.02.2024 15:36 Uhr

Heute und morgen findet in Loccum die Tagung "Wie justiziabel ist Antisemitismus?" statt. Daran nimmt auch Oberstaatsanwalt Jens Lehmann von der Generalstaatsanwaltschaft Celle teil.

Seit dem 7. Oktober vergangenen Jahres haben antisemitische Vorfälle in Deutschland zugenommen, nicht zuletzt an Hochschulen. Da fragt man sich immer wieder: Wann darf man Studentinnen, Studenten wegen solcher Äußerungen exmatrikulieren?

Herr Lehmann, wann genau ist Antisemitismus strafbar?

Jens Lehmann: Ich warne grundsätzlich erstmal, dass die Meinungsfreiheit eine ganz enorme Bedeutung hat und dass die Gerichte bisher die Neigung hatten, die Meinungsfreiheit höher zu gewichten. Im Strafrecht bin ich der Auffassung, dass die Meinungsfreiheit nicht überbetont werden sollte und dass es durchaus möglich ist, bei vernünftiger Anwendung der bestehenden Gesetze recht gut gegen Antisemitismus einzuschreiten. Grenzfälle haben wir immer wieder. Wenn aber nicht mehr reflexartig die Meinungsfreiheit immer als das höherrangige Rechtsgut eingestuft wird und die Gerichte bereit sind, das kritisch zu betrachten, was da gesagt wurde, dann ist damit einiges möglich.

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Freie Meinungsäußerung heißt in diesem Fall gegen Volksverhetzung?

Lehmann: Das wäre in der Tat immer die Abwägung. Die Vorschrift zur Volksverhetzung ist jetzt schon ausgesprochen verklausuliert. Da gibt es sehr viele Abwägungen, sehr viele unbestimmte Rechtsbegriffe. Der Gesetzgeber hat versucht, nur die unerträglichsten, die verhetzendsten Äußerungen zu erfassen - die sollen strafbar sein. Aber daneben gibt es einen weiten Raum von Dingen, die unerfreulich sind, die für viele Menschen schwer erträglich sind - da stelle ich mich in die erste Reihe -, die aber deswegen noch nicht unbedingt strafbar sind. Das wären die Dinge, wo das Bundesverfassungsgericht auch sagt: Damit muss eine offene Gesellschaft umgehen können. Dem soll im Diskurs begegnet werden, aber nicht von vornherein mit Strafdrohungen und mit Verboten.

Es wird ja immer gesagt, Ordnungsbehörden oder Justiz sollten angemessen gegen Verursacher vorgehen. Was heißt "angemessen" in diesem Fall?

Lehmann: Ausgangspunkt ist normalerweise die Deutung der jeweiligen Äußerung. Das Bundesverfassungsgericht sagt, das kommt auf den verständigen und unvoreingenommenen Betrachter an. Das ist ein praktisches Problem, denn diesen verständigen und unvoreingenommenen Betrachter gibt es als Person eben nicht. Das ist so ein bisschen das Einfallstor für diese Entscheidungen, die einen dann doch sehr wundern, weil manche Gerichte aus diesem verständigen Betrachter jemanden machen, der sich künstlich dumm stellt, der keinerlei politisches Interesse hat, keine geschichtlichen Kenntnisse, eigentlich gar nichts, und der offensichtlich antisemitische Bemerkungen überhaupt nicht so verstehen soll. Da werden manchmal andere Auslegungsmöglichkeiten an den Haaren herbeigezogen. Das ist etwas, was nach meiner Auffassung auch vom Bundesverfassungsgericht gerade nicht verlangt wird. Meine Anregung wäre, diesen verständigen Betrachter als ein politisch interessierten Menschen zu gestalten.

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Es gibt gerade einen aktuellen Fall vor dem Amtsgericht Braunschweig: ein Prozess gegen den ehemaligen Landesvorsitzenden der Partei Die Rechte, der Journalisten als "Judenpresse" oder "Judenpack" beschimpft haben soll. Zunächst wurde das nicht als Volksverhetzung eingestuft mit der Begründung, "Judenpresse" oder "Judenpack" sei nicht auf jüdische Menschen gemünzt gewesen, sondern die Journalisten vor Ort. Dann gab es massive Kritik. Jetzt heißt die Anklage doch: Volksverhetzung. Wie schätzen Sie das ein?

Lehmann: Ich schließe mich der jetzigen Auffassung im Ergebnis an. Aber das ist genau der Punkt: Wenn man reflexartig den Paragraphen 130 Volksverhetzung auslegt, dann steht da drin: Der Angriff auf die Menschenwürde muss sich richten gegen Gruppen der deutschen Bevölkerung. Da würde man wahrscheinlich sagen, wenn man aus der Hüfte argumentiert: Das war an die Journalisten vor Ort gerichtet, und da kann man schon fragen, ob deutsche Journalisten überhaupt eine abgrenzbare Bevölkerungsgruppe sind. Jedenfalls wurde das dort wohl noch als zulässige Meinungsäußerung eingestuft. Da muss ich dann sagen, es ist hilfreich, ein bisschen geschichtliches Hintergrundwissen zu haben, indem man sagt: In solchen Ausfällen klingt auch der Topos der jüdischen Weltverschwörung an und der jüdisch gelenkten Medien. Das hat deutliche Bezüge zur NS-Propaganda. Das ist in dem Moment - nach meinem Verständnis - nicht nur auf die Journalisten vor Ort gemünzt, sondern das soll wieder die in Deutschland lebenden Juden treffen. Wenn man es so auslegen will, dann habe ich mit der Anklage wegen Volksverhetzung überhaupt kein Problem.

Wir erleben in den Nachrichten, dass antisemitische Vorfälle zunehmen. Erleben Sie das auch in Ihrer Arbeit?

Lehmann: Ich würde sagen, es ist aggressiver geworden. Man kann weniger diese Hemmschwelle beobachten, die es früher vielleicht gegenüber solchen Äußerungen gegeben hat. Ob es quantitativ wirklich mehr gewesen ist, das kann ich nicht wirklich beurteilen.

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