"Jauchzet, frohlocket": Weihnachten als Anfechtung an uns selbst
Nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg fragen viele sich, wieviel Freude und Gelöstheit zu Weihnachten gerade angemessen sind? Ein Gespräch mit der Pastorin Josephine Teske.
Josephine Teske ist evangelische Pastorin in der Hamburger Kirchengemeinde Meiendorf Oldenfelde und sie sitzt im Rat der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Bekannt geworden ist sie auch durch ihren sehr beliebten Instagram-Account (@seligkeitsdinge_).
Frau Teske, wie erleben Sie aktuell die Unsicherheit in ihrer Kirchengemeinde oder auch auf Social Media?
Josephine Teske: Die Unsicherheit erlebe ich ganz groß. Ich erlebe eine ganz große Sehnsucht, noch größer als sonst. Um diese Jahreszeit empfinde ich auch bei den Menschen eine Sehnsucht nach Licht: Kerzenschein, aber auch eine Sehnsucht danach, dass die Frage ausgesprochen wird: Können wir jetzt überhaupt Weihnachten feiern, wenn wir unter Schock stehen, wenn wir trauern, wenn wir um Menschen trauern, die da unschuldig getötet wurden und auch angesichts des Hasses, der jetzt wieder ganz neu entflammt ist?
Bischöfin Kirsten Fehrs, die Ratsvorsitzende der EKD, hat heute früh dazu aufgerufen, die ungeheuren Widersprüche des Lebens auszuhalten. Nach ihren Worten kann Weihnachten auch eine Auszeit sein, ein Momentum, "um all den Irrsinn und die bedrückende Gewalt und politischen Streit um Krisen und schlechte Nachrichten einmal hintanzustellen." Wie sehen Sie das?
Teske: Ich war am Samstagabend im Weihnachtsoratorium und das beginnt ja mit großem Paukenschlag und mit "Jauchzet, frohlocket". Ich saß da und ich dachte: Was ist dieses Weihnachtsfest wieder einmal für eine Anfechtung an uns selbst? Ich habe mich wirklich auch persönlich gefragt: Wie soll Weihnachten werden? Was soll ich an Heiligabend sagen? Wie soll ich sagen: "Freut euch, der Heiland kommt auf diese Welt der Friede-Fürst Gott wird Mensch?" Wie soll ich das sagen angesichts dessen, was wir da gerade hier in unserem Land erleben und erlebt haben?
Haben sie ihre Predigten nach den Ereignissen des Wochenendes verändert?
Teske: Ja, das ganze Wochenende habe ich mir diese Frage gestellt: Wie gehen wir mit Anfechtung um? Was macht Heiligabend, was macht Weihnachten in unserem Leben auch mit den Brüchen? Wenn wir traurig sind, wenn wir im Streit sind, wenn wir hoffnungslos sind angesichts dessen, was in dieser Welt geschieht: Wie soll da Weihnachten werden? Können wir das ausblenden, oder nehmen wir das nicht auch mit in diesen Heiligabend? Nehmen wir nicht alles, was in uns ist, immer überall mit hin und auch in unsere Familien?
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Weihnachten ein ganz großes Geheimnis ist und dass Anfechtung nichts Negatives ist, sondern dass ich mich einfach da rein fallen lassen kann. Alles, was in mir ist, was gerade politisch passiert und was in dieser Welt geschieht, darf ich mit in Weihnachten nehmen und mich einfach hereinfallen lassen. Deswegen wird ja Weihnachten! Nicht, damit wir im Kerzenschein unterm Baum sitzen, sondern, weil wir das brauchen, weil die Welt ja noch nie nur gut war und weil ja noch nie nur Freundliches und Menschenfreundliches auf dieser Welt geschehen ist. Oder auch nicht, weil unser Leben schon immer heil war, sondern, weil Gott genau weiß, welche Brüche wir in uns tragen. Wie die Welt ist, wie wir Menschen miteinander umgehen, das weiß Gott alles. Deshalb wird ja Weihnachten. Und ich finde, deshalb brauchen wir das auch alles gar nicht so auszublenden, sondern wir können es abgeben. Wir können sagen, wir nehmen das mit in den Stall und dann lassen wir uns trösten von dem, was uns da versprochen wird: Licht in unserer Finsternis!
Kann so gesehen Unsicherheit gerade auch vielleicht eine Chance sein?
Teske: Ja, genau. Das finde ich sowieso immer. Wenn wir einmal zur Ruhe kommen und uns diese Unsicherheit zugestehen und darüber nachdenken und dann vielleicht auf die Idee kommen: Ich kann mich trauen. Ich darf mich auf Gott verlassen. Ich darf mich auf das verlassen, was mir da versprochen wird. Ich darf das abgeben, denn ich habe diese Welt eh nicht in meiner Hand. Was geschieht an Heiligabend in Familien, habe ich nicht in meiner Hand. Ich darf das abgeben und darf ruhig werden in mir. Ich darf vielleicht auch hoffnungsvoller sein und gnädiger mit mir selbst und mit den anderen.
Das ist, wenn ich Sie richtig verstehe, auf gar keinen Fall mit Gleichgültigkeit zu verwechseln. Sehen sie die Chance für Menschen in unserem Land, neu zueinander zu finden, auch im Weihnachtsfest?
Teske: Ja, ganz genau. Es ist uns so wichtig, dass es uns beschäftigt. Das treibt uns um. Wir fragen uns: Wie kann das gehen, dass wir trotzdem Weihnachten miteinander feiern können? Ich glaube, wir können gut miteinander Weihnachten feiern, wenn wir einander zuhören, wenn wir einander tolerieren, auch wenn andere nicht unserer Meinung sind. Wenn wir einfach auch gnädig miteinander sind und sehen: Ich weiß, wie dieses Jahr für dich war. Ich habe gesehen, womit du hier angekommen bist, was du vielleicht mit dir rumschleppst. Ich ahne es, denn Mensch sein ist ja nie leicht. Das nehme ich alles an und hier muss nichts perfekt sein an Weihnachten. Du musst nicht perfekt sein, aber wir können eine gute Zeit miteinander haben.
Weihnachten als Fest der Verantwortung für einander. Würden sie zustimmen, wenn man sagt, dass man leidvolle Ereignisse eigentlich niemals in Relation oder Konkurrenz zueinander setzen darf? Magdeburg, das Leid in der Ukraine, oder der Hunger in der Welt - würden Sie zustimmen, dass eine Hierarchisierung vermutlich zu nichts führt?
Teske: Nie führt das zu irgendetwas. Dann könnte ich ja auch sagen: Mein Leid Zuhause oder mein privates Leid ist ja nichts im Gegenstück zu dem, was andere erleben in Palästina, in Gaza oder auf der Welt. Das kann sich für mich ja genau so schrecklich anfühlen. Wir können ja einander nicht Gefühle absprechen. Eine Sache ist nicht unbedingt schrecklicher als die andere. Wo Menschen sterben ist es immer gleich furchtbar und schrecklich und ungerecht.
Das Gespräch führte Philipp Cavert.