Leipziger Buchmesse in kriselnder Umgebung
Mit einem Festakt wurde die Leipziger Buchmesse im Gewandhaus eröffnet. NDR Kultur Redakteur Ulrich Kühn ist vor Ort und berichtet über die Trends und Highlights in diesem Jahr.
Herr Kühn, Sie waren bei der Pressekonferenz. Gab es dort zentrale Punkte, die in den nächsten Tagen in Leipzig eine Rolle spielen werden?
Ulrich Kühn: So feierlich das losgeht im Gewandhaus, so direkt auf den Punkt ist in der Pressekonferenz doch angesprochen worden, dass es der Buchbranche insgesamt nicht allzu toll geht. Das ist eine Buchmesse in einer kriselnden Umgebung. Die Menschen haben immer weniger Zeit für Bücher, so die Diagnose, oder sie nehmen sich weniger Zeit. Sie sind mehr Einflüssen ausgesetzt, soziale Medien fordern sie, erschöpfen sie. Zugleich aber, so wurde uns gesagt, sei da ja immer noch jede Menge hervorragender Bücher; an Inhalten fehle es also nicht. Und deshalb müsse es darum gehen, Sichtbarkeit zu schaffen, die Menschen fürs Lesen zu begeistern. Dafür ist diese Messe da, so versteht sie sich - nicht nur ein Branchentreffen, sondern vor allem ein großes Lesefest.
Ein weiterer Punkt ist das politische Engagement, das bei der Messe eine große Tradition hat. Zum einen für die Meinungsfreiheit - da fiel heute ein interessanter Satz: Alexander Skipis, der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, sagte, es sei erschreckend, wie schnell sich Öffentlichkeit an Unrecht gewöhnt. Damit spielte er auf die Zustände in der Türkei oder auch in Saudi Arabien an, wo der Blogger Raif Badawi nach wie vor in Haft sitzt - und dennoch denkt man schon wieder über Waffenhandel mit diesem Land nach, weil es nun einmal finanziell so viel zu bieten habe. Das nannte Skipis eine Appeasement-Politik, die scharf zurückzuweisen sei.
Die Buchmesse selbst - abgesehen von diesem Engagement für die Meinungsfreiheit - möchte an der Basis ansetzen: Sie betreibt Leseförderung und Medienbildung. Das aus der Überlegung heraus, dass junge Menschen die diese Kompetenzen besitzen, dann auch in viel engagierterer Art und Weise einzugreifen wissen in die Zeitläufte, ins Weltgeschehen. Die Bundeszentrale für politische Bildung, mit der die Messe sich zusammengetan hat, hat die Ereignisse von Chemnitz zum Anstoß genommen und ist an elf Schulen im Osten Deutschlands gegangen und hat die Schülerinnen und Schüler einen Democracy-Slam slammen lassen - und hier auf der Messe findet dann das Finale statt.
Leipzig zeigt sich politisch. Das wird schon deutlich bei der Auswahl des Gastlandes: das traditionsreiche Literaturland Tschechien. Wurde dazu auch etwas gesagt?
Kühn: Ja. Dieses politische Engagement fokussiert sich, und zwar über drei Jahre hin in einer neuen Veranstaltungsreihe unter der Überschrift "Years of Change". Da geht es um den Wandel, der in den Jahren 1989 bis 1991 in Süd-, Ost- und Mitteleuropa stattgefunden hat. Man möchte versuchen, hier Denkräume zu schaffen in der Erinnerung daran und mit dem Blick voraus. Es gibt acht Diskussionsveranstaltungen zu dieser Thematik, die Fragestellung in etwa: Wie wirken jene Revolutionen von damals, die so viel Hoffnung gestiftet haben, in die Gegenwart hinein? Was ließe sich daraus ableiten für unser Nachdenken über die Zukunft, insbesondere auch der Demokratien, die ja damals so hoffnungsfroh aufgebrochen sind und heute sehr oft in prekären Verhältnissen sind.
In diesem Jahr erinnern wir an 30 Jahre "Mauerfall", 30 Jahre "Friedliche Revolution", 30 Jahre nach dem Verschwinden des "Eisernen Vorhangs". Wie wird das Datum auf der Buchmesse sichtbar?
Kühn: Abgesehen von der Veranstaltungsreihe, die ich eben erwähnt habe, und die das zentral in den Blick nehmen möchte, verbildlicht sich das ganz wunderbar, schon wenn man in die Glashalle hineingeht. Da ist nämlich ein Kunstwerk aufgestellt: "Quo vadis" von David Černy aus Prag, 1990. Das ist ein Trabi, der auf Beinen steht, und diese Beine münden in große Füße. Das spielt ein bisschen darauf an, dass damals flüchtende Menschen aus der DDR kamen und Zuflucht in der westdeutschen Botschaft in Prag gesucht haben, mit dem Ziel: Ausreise nach Deutschland. Das hat Černy damals aufgegriffen, hat diese 450 Kilogramm schwere Skulptur geschaffen und in der Nacht vor dem Inkrafttreten der deutschen Währungs-, Wirtschafts-, und Sozialunion im Juli 1990 auf dem Altstädter Ring in Prag aufgestellt. Das steht also als sichtbares Symbol - Stichwort: Sichtbarkeit, Stichwort: politisches Engagement, Stichwort: 30 Jahre danach - direkt in der Eingangshalle.
Zentral verhandelt wird gerade die EU-Urheberrechtsreform. Aus Protest macht morgen die deutsche Wikipedia-Seite einen Tag lang dicht. Am Samstag finden in zahlreichen europäischen Städten Demonstrationen gegen die geplante EU-Reform statt. Welche Signale sind von der Buchmesse zu erwarten?
Kühn: Man könnte erst mal sagen: Das ist ja eine hübsche Pointe, dass ausgerechnet wenn die Buchmesse beginnt, Wikipedia dicht macht. Die ganzen Journalistinnen und Journalisten, die hier sind, wissen plötzlich nichts mehr, weil sie nichts nachschlagen können. Davon abgesehen ist es eine ganz klare Position, die die Buchbranche einnimmt, insbesondere der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der die Branche seit vielen Jahren vertritt. Diese Position heißt: Wir brauchen diese Urheberrechtsreform. Sie ist wichtig insbesondere für die kleinen Verlage, die auf die Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften angewiesen sind, die ihnen in den letzten Jahren gefehlt haben. Es muss eine Art Sicherheit geben. Es muss das geistige Eigentum den angemessenen Schutz genießen. Das ist im Großen und Ganzen die Position, die noch mal mit Vehemenz vertreten wurde.
Es gab ja eine handfeste Hiobsbotschaft: Koch, Neff und Volckmar (KNV), einer der drei wichtigsten Buchgroßhändler, hat vor kurzem Insolvenz angemeldet. Hat man sich dazu geäußert?
Kühn: Ja, sehr eindeutig und auch mit einer aufschlussreichen Lücke verbunden: Diese Insolvenz, so die Botschaft von Skipis, habe nichts mit dem Buchmarkt, nichts mit der Branche zu tun. Das sei die Folge einer unternehmerischen Entscheidung gewesen: KNV, ein Logistiker, der von Stuttgart nach Erfurt umgezogen sei, und das habe nicht hingehauen - daher diese Insolvenz. Jetzt gebe es einen tollen Insolvenzverwalter, eine riesige Solidarität in der Branche und: keinerlei Einschränkungen für die Kunden bis zu diesem Zeitpunkt. Was das für die Verlage, insbesondere die kleineren bedeutet, da hält man sich allerdings bedeckt.
Das Interview führte Claudia Christophersen