Zwei Männer gehen im Wald spazieren. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Foto: Frank Augstein

Trend Spazierengehen: Gut für Körper - und Geist

Stand: 04.10.2023 19:00 Uhr

Was machen die Menschen in Deutschland in ihrer Freizeit? Laut einer Umfrage hat das Spazierengehen den höchsten Zuwachs bei Freizeitaktivitäten zu verzeichnen.

Die BAT-Stiftung für Zukunftsfragen hat Anfang September die Resultate einer repräsentativen Umfrage veröffentlicht. Aus diesem Freizeit-Monitor geht hervor, dass viele Menschen immer mehr Zeit auf dem Sofa und mit digitalen Medien verbringen. Aber dass im selben Moment auch andere Freizeitbeschäftigungen stark zugenommen haben - und den allerhöchsten Zuwachs, den gibt es beim Spazierengehen. Das nennen heute 17 Prozent mehr Menschen als noch vor zehn Jahren als regelmäßige Freizeitaktivität. NDR Kultur Redakteurin Charlotte Oelschlägel hat mit dem Spaziergangsforscher Bertram Weisshaar über diese Entwicklung gesprochen.

NDR: Bertram Weisshaar ist Promenadologe, also Spaziergangsforscher. Was genau macht ein Promenadologe?

Bertram Weisshaar: Die Spaziergangsforschung oder Spaziergangswissenschaft beschäftigt sich mit Stadt- und Landschaftsplanung, mit Architektur. Sie kommt ursprünglich aus der Urbanismuskritik und Stadtentwicklung und beschäftigt sich damit, wie wir die Stadt oder die Welt wahrnehmen, wenn wir zu Fuß unterwegs sind oder wenn wir eben fahren oder gefahren werden. Die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen, bedingt auch das Bild der Welt und der Stadt, das wir haben. Sie bestimmt damit auch unsere Vorstellung, was alles anders werden müsste oder wie gut oder wie schlecht die Stadt gestaltet ist.

Spazieren Sie in Ihrem Arbeitsalltag auch selbst viel in der Stadt herum oder gehört das nicht dazu?

Bertram Weisshaar: Das Gehen oder der Spaziergang in der Stadt ist quasi das Instrument, über das man noch mal zu einer anderen Art von Wissen kommt, als wenn man ausschließlich auf Statistiken, Pläne, Luftbilder schauen würde. Das ist gerade beim Thema Verkehr und Mobilität ganz unabdingbar notwendig, dass man aus der eigenen Anschauung im Stadtraum die Stadt versteht.

Wie aus der Umfrage zum Freizeit-Monitor hervorgeht, gehen heute 17 Prozent mehr Menschen als noch vor zehn Jahren regelmäßig spazieren. Deckt sich das auch mit ihren Erfahrungen als Forscher?

Bertram Weisshaar: Ja, ich finde das bemerkenswert. Man kann ja auch normal sagen: Es ist die sportliche Betätigung mit dem höchsten Zuwachs überhaupt. Keine andere angefragte Tätigkeit außer Haus hat ebenso starken Zuwachs in diesen zehn Jahren - das finde ich schon beachtlich. Das hat vermutlich auch noch damit zu tun, dass wir während der Corona-Pandemie alle das Spazierengehen neu entdeckt haben. Das ist ganz offensichtlich auch so geblieben.

Was macht das jetzt aus Ihrer Erfahrung mit den Menschen, wenn sie mehr spazieren gehen?

Bertram Weisshaar: Man ist mit allen Sinnen in der Welt und dadurch auch offen für sinnliche Erlebnisse, für Begegnungen mit anderen Menschen. Man sieht, andere Menschen sind ebenfalls unterwegs. Also, man ist nicht alleine, man kriegt irgendwie Anregungen, kommt von seinem eigenen Gedankenkarussell viel leichter heraus, wenn man draußen unterwegs ist, statt pausenlos vor einem Monitor oder einer Zeitung oder in seinen eigenen vier Wänden zu verharren. Das ist, glaube ich, das Wichtige daran.

Sie sind von Aachen nach Zittau gewandert, rund 800 Kilometer quer von West nach Ost. Wie haben Sie Deutschland dabei wahrgenommen? Was haben Sie durch diesen langen Spaziergang gelernt?

Bertram Weisshaar: Das war ein ungefähr zweimonatiger Spaziergang, am Ende wahrscheinlich zwölfhundert Kilometer. Es war eine meiner besten Erfahrungen und die beste Zeit, die ich jemals hatte in meinem Leben. Insofern kann ich das also nur wärmstens ans Herz legen, dass man das Land, in dem man Beschied wissen will, einmal zu Fuß zu durchqueren hat. Hätte man mich aus dem Ausland hier mit einem Hubschrauber mit verbundenen Augen abgesetzt und dann in Zittau wieder abgeholt und ich sonst noch nie irgendetwas über Deutschland erfahren hätte, dann wäre ich überzeugt, es wäre ein total agrarisch geprägtes Land. Es gibt überhaupt nur zwei Autobahnen in dem ganzen Land und ganz viele kleine Straßen. Das war so der Eindruck, den man bei dieser Wanderung erhalten konnte, wenn man das Land wirklich konsequent zu Fuß durchquert.

Die Umfrage zum Freizeit-Monitor dokumentiert ein gewachsenes Interesse am Spazierengehen. Aber sie nennt eben auch das Sofa als Epizentrum unserer Freizeit und zeigt, dass die Menschen viel Zeit im Internet oder mit den Sozialen Medien verbringen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Bertram Weisshaar: Ja, man kann sagen, sie machen eben A und B. Wenn man einmal genau hinschaut, dann gibt es da diese Rubrik "chillen", nichts tun. 63 von 100 Personen tun das. Gleichzeitig haben aber 58 von 100 Personen angegeben, dass sie sich mindestens einmal in der Woche in der Natur aufhalten. Die beiden Aktivitäten sind ungefähr auf Augenhöhe. Gerade auch in den letzten Jahren ist vielen deutlich geworden, dass man für seine eigene Gesundheit einfach was tun kann, indem man sich draußen bewegt.

Das sind gute Nachrichten für Couch-Potatos!

Bertram Weisshaar: Wichtig ist, dass man nicht acht Stunden ohne Unterbrechung sitzt. Diese Forschung hat ergeben, dass fünf Tage oder sieben Tage Sitzmarathon nicht ausgeglichen werden können, indem man zweimal in der Woche in einem Fitnessstudio zwei Stunden Sport treibt. Sondern, dass man diese Bewegung in seinen Alltag integrieren muss. Da gibt es einen ganz einfaches Trick: Wenn ich mit der Straßenbahn zur Arbeit fahren, steige ich zwei Stationen früher aus, oder ich parke das Auto nicht direkt vor der Wohnung oder dem Büro, sondern einfach 500 Meter entfernt.

Trotz aller guten Vorsätze: Natürlich sind die Möglichkeiten des digitalen Universums verlockend und nehmen immer mehr Raum und Zeit ein. Sie sind eine große Konkurrenz für die echte, sinnliche Begegnung mit der Welt, oder?

Bertram Weisshaar: Man darf es nicht verteufeln, aber es ist natürlich schon so, wie sie andeuten, dass diese technischen, virtuellen Medien immer verlockender und auch immer irgendwie scheinbar perfekter werden. Aber es ist immer eine Scheibe dazwischen, die uns von dem echten Erleben trennt. Dessen muss man sich einfach bewusst bleiben und sagen, ich muss diese Glasscheibe mal wieder wegnehmen und wirklich raus und mich schmutzig machen, oder mal frieren oder schwitzen, oder vielleicht von einer Mücke gestochen werden. Das gehört dann eben zum Leben einfach dazu.

Vielen Dank für diese Anregungen. Zum Abschluss: Haben Sie noch einen Lieblingsspaziergang, eine Strecke in Norddeutschland, die Sie empfehlen können?

Bertram Weisshaar: Hiddensee ist vielleicht das Must-Have-Walked, die autofreie Insel. Dort kann man sehen, wie eine Welt aussehen würde, die nicht derart von motorisierten Fahrzeugen dominiert wird, wie wir es inzwischen als normal empfinden.

Das Gespräch führte Charlotte Oelschlägel.

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Dieses Thema im Programm:

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