Thomas Hitzlsperger: "Sport und Politik gehören immer zusammen!"
2014 outete sich Thomas Hitzlsperger kurz nach seinem Karriereende als homosexuell. Im Gespräch mit Alexander Solloch spricht der populäre Ex-Fußballprofi über die "Mutproben" in seinem Leben.
"Mut zu proben heißt ja nicht, etwas Waghalsiges zu riskieren, sondern die Komfortzone zu verlassen", sagt Thomas Hitzlsperger. "Sich im Jahr 2014 als homosexuell zu outen, war nicht lebensbedrohlich. Definitiv nicht hier in Deutschland." Ihm sei aber bewusst gewesen, dass es immer noch Leute gebe, die Angst davor hätten, sich zu einer Minderheit zu bekennen. Diese Menschen wolle er ermutigen, sich ebenfalls nicht zu verstecken.
Parallel zu seiner Fußballkarriere wurde Thomas Hitzlsperger - außergewöhnlich in seinem Metier - zum Bücherliebhaber und Leser. Zusammen mit dem Sportjournalisten Holger Gertz hat er nun das Buch "Mutproben" veröffentlicht - die Schilderung seines Lebenswegs von der bayrischen Provinz bis in die höchsten europäischen Fußballligen. Oft genug habe er dabei gedacht: "Ich riskiere etwas, auch auf die Gefahr hin, dass ich scheitere. Aber wenn es klappt, ist es umso schöner."
"Mutproben" heißt das Buch. Man probiert etwas aus, man weiß nicht, ob es hinhauen wird, man kann auch auf die Nase fallen. Welche Rolle spielt für Sie das Probieren beim Mutig-Sein?
Thomas Hitzlsperger: Ich bin nicht so erzogen worden, dass ich immer wieder Dinge ausprobiere und vielleicht mutige Entscheidungen treffe. Ich habe es aber zum ersten Mal gemacht, als ich mit 18 von Zuhause weggezogen und nach England gewechselt bin, um Profi zu werden. Das hat auch funktioniert. Da habe ich gemerkt, dass ich auch hätte scheitern können - aber es ging gut. Ich habe das immer wieder versucht, bis zum heutigen Tage. Obwohl ich viele gute Erfahrungen gemacht habe, merke ich, ich muss mich überwinden. Mut zu proben, heißt ja, nichts Waghalsiges zu machen, nicht mein Leben zu riskieren, sondern die Komfortzone zu verlassen.
Und es kann auch mal wehtun. Auch diese Erfahrung habe ich gemacht. Und trotzdem möchte ich immer wieder mit gutem Beispiel vorangehen und sagen: Ich riskiere etwas, auch auf die Gefahr, dass sich scheitere. Aber wenn es klappt, ist es umso schöner. Ich bin diesen Weg gegangen, und es war lohnenswert. Deshalb möchte ich im Buch Leute anregen, es mir vielleicht gleichzutun, weil es sich echt lohnen kann.
Sie definieren in Ihrem Buch Mut als die Bereitschaft, das Risiko einzugehen, dass sich durch das Engagement die eigene Lebenssituation womöglich verschlechtert, weil man eine Idee unterstützt, die man wichtiger findet als die eigene Bequemlichkeit. Sie nennen große Vorbilder wie den Boxer Muhammad Ali oder den Sprinter Tommie Smith. Wo ordnen Sie Ihr eigenes Beispiel ein, vor zehn Jahren den Mut gehabt zu haben, als erster Ex-Fußballnationalspieler öffentlich zu sagen: Ich bin homosexuell?
Hitzlsperger: Ich merkte, dass es nicht lebensbedrohlich war, sich im Jahr 2014 als homosexuell zu outen - definitiv nicht hier in Deutschland. Und trotzdem war mir auch bewusst, dass es immer noch Leute in Deutschland gibt, die Angst davor haben, sich zu einer Minderheit zu bekennen. Und wenn ich meine Stimme erhebe, dann könnte ich diese Menschen erreichen. Dann könnten die sagen: Der war Fußballprofi, der ist ein Vorbild. Wenn der sich traut, dann kann ich mich auch trauen. Diese Bestätigung habe ich in all den Jahren immer wieder bekommen.
Sport und Politik gehören immer zusammen. Bis zum heutigen Tage sagen Menschen immer noch zu mir, man solle die Politik aus dem Fußball raus lassen. Das geht nicht. Das war immer Eins. Wir können nicht Millionen von Menschen zusammenbringen und Fußball schauen und dann so tun, als wäre das alles unpolitisch.
Sie stellen sich in Ihrem Buch selbst die Frage, was in den zehn Jahren seit ihrem Coming-out passiert ist. Ihre Antwort lautet: "Schon viel, aber nicht genug." Was wünschen Sie sich, was in den kommenden zehn Jahren passieren möge?
Hitzlsperger: In Deutschland bin ich geschützt durch das Gesetz. Ich habe keine schlechten Erfahrungen gemacht, seitdem ich das öffentlich gemacht habe. Ich fühle mich hier sehr wohl. Wir merken aber, dass dieser Status quo nicht so bleiben muss. Man muss sich immer wieder dafür einsetzten. Vereine müssen stets betonen, dass Vielfalt etwas sehr Wichtiges ist, dass sie das ernst nehmen, dass sie den Kampf gegen Rassismus weiter betreiben. Worauf ich aber natürlich auch abziele, ist diese Tabuisierung im Fußball. Das liegt in erster Linie daran, dass sich in Deutschland kein Spieler traut, weil die Überzeugung noch vorherrscht, die Gesellschaft sei nicht bereit.
Ich habe eine andere Erfahrung gemacht: Die Gesellschaft ist sehr wohl bereit. Man muss sich trauen, man muss den Mut fassen und diesen Schritt gehen. Da können die Vereine nicht mehr unternehmen, als das, was sie eh schon tun: immer wieder zu sagen, dass sie Vielfalt begrüßen. Aber den letzten Schritt muss jeder Spieler, jeder Mensch selber gehen, um dann vielleicht zu erkennen: So schlimm ist diese Gesellschaft eigentlich gar nicht, wie wir manchmal denken.
Das Interview führte Alexander Solloch.