Sollten Atomkraftwerke unter Denkmalschutz gestellt werden?
Der Architekt Philipp Oswalt fordert, dass Kernkraftwerke für die Nachwelt als Kulturgüter bewahrt werden müssen: "Das ist eigentlich selbstverständlich, dass so etwas unter Denkmalschutz kommt."
"Kernkraft nein Danke!": Darauf hat sich die Gesellschaft in jahrelangen, mühsamen Debatten geeinigt. Aber jetzt entsteht eine neue Diskussion: "Denkmalschutz für Kernkraftwerke ja bitte"! Ein aus heutiger Sicht verwegener Gedanke, denn viele wollen die 36 ehemaligen deutschen AKWs aus der Erinnerung verbannen. Aber ist das nicht etwas kurzsichtig?
Herr Oswalt, inwieweit sind für Sie Atomkraftwerke ein schützenswertes Kulturgut, das unter Denkmalschutz gestellt werden sollte?
Philipp Oswalt: Zum einen handelt es sich bei Atomkraft um eine Hochtechnologie, und denkmalwert sind auch technische Denkmale - das ist eigentlich selbstverständlich, dass so etwas unter Denkmalschutz kommt. Zum anderen haben Atomkraftwerke und die Auseinandersetzungen um Atomenergie die Bundesrepublik in den politischen Auseinandersetzungen über Jahrzehnte geprägt. Insofern sind diese Bauten auch Symbole dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzung.
Wie genau stellen Sie sich das vor? Was soll erhalten bleiben? Und wie könnte eine Nutzung aussehen?
Oswalt: Sie müssen natürlich erst mal aus dem Nukleargesetz herausgenommen werden. Das heißt, alle strahlenden Teile müssen entfernt werden. Das passiert sowieso im Rahmen des Abbaus. Was dann aber übrigbleibt, sind noch über 90 Prozent der Anlagen. Das könnte erhalten und weiterverwendet werden. Da ist eine ganz zentrale Idee des Vorschlags, den ich gemeinsam mit Wolfram König gemacht habe: dass es als Archiv und Lernort über die Frage des Erbes der Atomenergie erhalten bleibt. Wir sind in der Pflicht, den Atommüll über Zehntausende von Jahren sicher abzuschließen, und das bedarf der Information und auch der Aufmerksamkeit.
Sie haben gesagt, dass die Diskussion um die Atomkraft die Gesellschaftspolitik in Deutschland eine lange Zeit über geprägt hat. Wie genau meinen Sie das?
Oswalt: Es gab gerade in Westdeutschland über Jahrzehnte extreme Auseinandersetzungen, Großdemonstrationen und intensive Debatten, ob diese Art der Energie genutzt werden soll oder nicht. Dann gab es auch, etwa mit Fukushima, Ereignisse, die sehr prägend waren für unsere Gesellschaft.
Sie selbst waren früher bei den Grünen aktiv, haben gegen die Startbahn West demonstriert. Warum wollen Sie jetzt unbedingt Atomkraftwerke erhalten?
Oswalt: Es gibt ja nicht nur positive Denkmale. Wir haben auch als Extrembeispiel Konzentrationslager als Denkmale. Es geht um Objekte, die für die Gesellschaft, für die Geschichte unseres Landes wichtig sind. Und das sind Atomkraftwerke sicherlich. Sie sind ja nicht besonders ästhetische oder besonders positiv besetzte Objekte, sondern es geht um ihre Relevanz.
Sie ziehen auch Parallelen zur Industriekultur, zum Beispiel im Ruhrgebiet oder im Saarland. Dort haben ehemalige Zechen UNESCO-Weltkulturerbe-Status. Stellen Sie sich so etwas auch für ein altes Kernkraftwerk vor?
Oswalt: Ja, genau. In den 1980er-Jahren begann die Debatte, ob man alte Kohle- und Stahlkraftwerke erhält - viele wollten es nicht glauben, dass man so etwas für erhaltenswert hält. Heute ist es zum Teil Weltkulturerbe geworden, wenn wir zum Beispiel an die Zeche Zollverein denken. Wir werden gut daran tun, das auch bei den Atomkraftwerken zu überlegen, die jetzt im Abbau sind. Ich erinnere mich sehr gut an den Abbau der Berliner Mauer: Die wurde nach 1990 sofort abgebaut - und danach hat man angefangen, die Teile wieder mühselig zusammen zu kramen und wieder aufzubauen, weil plötzlich klar wurde, dass es wichtig ist, daran auch zu erinnern, auch wenn die Mauer natürlich traumatisierend war.
Trotzdem ist so ein Kernkraftwerk für viele Menschen ein Symbol für eine Art unsichtbarer Bedrohung. Können Sie auch verstehen, wenn zum Beispiel Anwohner sagen, sie seien froh, wenn das Ding endlich weg ist?
Oswalt: Es gibt ja auch lokale Initiativen, die durchaus Interesse haben. Und es gibt auch noch die Seite, dass die Atomkraftwerke als eine Fremdbestimmung durch eine zentrale Entscheidungsinstanz an einen Ort platziert worden sind und man in der totalen Abhängigkeit war von dieser übergeordneten Instanz. Jetzt gibt es eine Möglichkeit, sie stärker mit den lokalen Kontexten zu vernetzen und auch eine Art der Selbstbestimmung zu erreichen. Es gibt sowohl in Greifswald als auch ansatzweise in Biblis Interesse, solche Anlagen zu erhalten und museal zu nutzen.
Wie gehen andere Länder mit dem Erhalt alter Atomkraftwerke um?
Oswalt: Es gibt in den USA vom Manhattan-Projekt zwei Atomkraftwerke, die stillgelegt sind und museal genutzt werden. Es gibt in Frankreich einen Reaktor - eines der ersten Atomkraftwerke Frankreichs -, der ein Atommuseum ist. In anderen Ländern ist es diskutiert, aber aus Kostengründen nicht realisiert worden.
Glauben Sie, dass es ein Unterschied ist, dass dort die Kernkraft zum Teil noch positiv bewertet wird?
Oswalt: In Frankreich ganz klar. Das Atommuseum dort ist ein Propagandainstrument - es funktioniert allerdings schlecht, mit wenig Besuchern, soweit ich das aus der Ferne beurteilen kann. In den USA ist es ein kritisches Nachdenken - das ist auch verbunden mit dem Manhattan-Projekt, also mit der Nutzung der Atombombe am Ende des Zweiten Weltkriegs. Da ist es zwiespältiger, auch wenn sich ein technologischer Stolz damit verbindet.
Wie weit sind Sie im Moment mit Ihren Bemühungen? Was sagen die Denkmalschutzbehörden in Deutschland bis jetzt?
Oswalt: Rein denkmalrechtlich ist es gar nicht zu diskutieren - es ist für mich selbstverständlich, dass es eine Angelegenheit von Denkmalschutz ist. Aber es ist ein Klima, was tabuisiert ist. Es ist etwas, womit Entscheidungsträger sich nicht verbinden wollen. Es ist ein heikles Thema. Und da jetzt die Abrissbeschlüsse gefällt sind, wenn keiner interveniert, werden die Objekte restlos zurückgebaut. Es gab vor mehreren Jahren erste Tagungen und es gibt inzwischen auch eine Verständigung innerhalb der Industriedenkmalpflege, was man tun müsste, aber es bedarf einer gesellschaftlichen und politischen Diskussion, damit tatsächlich eine Bewegung hineinkommt.
Das Interview führte Franziska von Busse.