Schlagersänger, Komponist, Entertainer: Das Phänomen Udo Jürgens
Udo Jürgens war viel mehr als nur irgendein Schlagersänger. Rainer Moritz, der Chef des Hamburger Literaturhauses, hat jetzt ein Buch über Udo Jürgens geschrieben - 100 Seiten, kompakt, witzig, auf den Punkt. Ein Gespräch.
Herr Moritz, warum Udo Jürgens? Was ist das, was ihn ausmacht, sein Geheimnis?
Rainer Moritz: Ich glaube, da gibt es verschiedene Phänomene, die bei ihm zusammenkommen. Zum einen ist er vor allem Komponist; man sagt, er habe über tausend Lieder komponiert. Alle großen Hits, die man von ihm kennt - ob "Griechischer Wein" oder "Ein ehrenwertes Haus" - sind von ihm komponiert. Er ist mit dem Begriff "Schlagersänger" unzureichend beschrieben. Er hat aber vor allem auch - und das hat mich interessiert - ab Ende der 60er-Jahre eine Wirkung erreicht, die bis zu seinem überraschenden Tod angehalten hat. Das heißt, er hat mittlerweile viele Generationen begleitet. Immer wieder ein großartiges Entertainment-Programm gehabt. Er ist ja 14 Tage vor seinem Tod noch in Zürich live aufgetreten. Man dachte eigentlich - und das haben mir viele Menschen bestätigt: Er stirbt nie. Er hatte so etwas ewig Jugendliches, auch dieses Wollen, sich nicht zufrieden zu geben mit dem, was man erreicht hat. Das ist alles entscheidend, um überhaupt dieses Phänomen Udo Jürgens zu beschreiben.
Ich habe ihn in seinen letzten Jahren noch live in Hamburg gesehen, und da war alles mit dabei: Bademantel und alles, was man noch so kennt. Die Lieder waren ein bisschen heruntertransponiert, aber da war trotzdem eine Vitalität und eine Frische bis zum Schluss.
Moritz: Er hat auch klassische Schnulzen geschrieben. Kürzlich war das Eppendorfer Landstraßenfest: Von meinem Arbeitszimmer aus habe ich gehört, wie laut die ganze Eppendorfer Landstraße plötzlich "Griechischer Wein" sang. Er hat aber auch immer - das ist auch ganz wichtig - im Rahmen des Schlagers sozialkritische Lieder veröffentlicht. "Das ehrenwerte Haus" ist vielleicht das wichtigste Lied, aber auch "Der gläserne Mensch". Das heißt, er hat sich Themen zugewandt, an die sich kaum ein anderer Schlagersänger herangetraut hat. Das gehört alles dazu, wenn man ihm gerecht werden will.
"Griechischer Wein" wird auf Partys und auf Festen gern gespielt, aber dieses Liedgeht viel tiefer: Es ist eine Gastarbeiter-Ballade, die auch einigermaßen tiefschürfend ist, oder?
Moritz: Ja, sie spielt mit folkloristischen Elementen, mit griechischen Elementen: etwa die Männer mit dunklem Haar, die in der Kneipe Wein trinken. Michael Kunze hatte erst einen ganz anderen Text dazu geschrieben, weil Udo Jürgens nicht auf dieser Griechenland-Welle mitschwimmen wollte. Lustigerweise hieß die erste Fassung von Michael Kunze auf diese Melodie: "Sonja, wach auf!" Ich glaube, das wäre kein großer Welthit geworden. Er hat Themen aufgegriffen, die es vor ihm schon mal gab. Wir erinnern uns an Conny Froboess' "Zwei kleine Italiener" - das war in den Sechzigern auch ein sogenanntes Gastarbeiter-Lied gewesen. "Griechischer Wein" hat eine tiefe Melancholie, eine Trauer und durchaus auch ein Verstehen dieses Fremdseins im Deutschland. Das hat eine gewisse Aktualität bewahrt. Es ist ein Welterfolg geworden.
Sie haben das im Buch anhand einer Weltkarte dargestellt. Dieses Lied hatte wirklich eine erstaunliche Karriere.
Moritz: In Finnland, in Frankreich, in Griechenland selber. Udo Jürgens hat die französische Fassung gesungen. Der berühmte Al Martino hat die englische Fassung gesungen: "Come Share The Wine" heißt es da. Die originellste Fassung ist sicherlich in Bayonne zu hören, dieser kleinen Stadt im Südwesten Frankreichs, wo der berühmte Schinken herkommt. Dort ist die Melodie von "Griechischer Wein" in der Hymne des Vereins, "La Peña Baiona", zu hören. Auch das gelingt sehr wenigen Liedern, so um die Welt zu touren.
Das Interview führte Daniel Kaiser.