Florian Schroeder © Frank Eidel

Satirischer Jahresrückblick mit dem Kabarettisten Florian Schröder

Stand: 29.12.2023 14:18 Uhr

Florian Schröder sieht sich inzwischen nicht mehr in dem Zwang, bei seinen Auftritten immer aktuell auf die politische Weltlage zu reagieren: "Ich versuche, mich dieser Hektik des Meinens immer wieder zu entziehen."

Herr Schröder, 2023 ist wahnsinnig viel passiert. Was ist Ihrer Meinung nach besonders vergessen worden?

Florian Schröder: Es sind Themen, die am Anfang des Jahres lagen. Zum Beispiel, dass zwei Klima-Kleber angeblich ihren Prozess in Stuttgart geschwänzt haben und stattdessen auf Bali waren. Später kam heraus: Sie haben gar nicht geschwänzt; sie waren offiziell entschuldigt. Es waren auch nicht zwei, sondern nur einer und ein Zeuge. Und sie waren nicht in Bali sondern in Thailand. Daraufhin entsprang die große Debatte, ob sie nach Thailand fliegen durften - und die Antwort ist ganz einfach: ja. Nur weil man selber sagt, dass man Fliegen klimaschädlich findet, darf man trotzdem fliegen. Man darf Dinge kritisieren und muss sie deshalb nicht zwangsläufig selbst besser machen. Da spreche ich als Komiker aus Erfahrung. Wenn ich nur das kritisieren würde, was ich besser machen kann, wäre ich arbeitslos.

Sollten Politiker nicht grundsätzlich auch Vorbilder sein?

Schröder: Ja, aber es gibt einen Unterschied zwischen Aktivisten und Politikern. Aktivisten sind niemandem verpflichtet außer sich selbst und ihrer Botschaft, die sie mehr oder weniger überzeugend rüberbringen können. Politiker haben ein Mandat; sie sind entweder ihrer Partei oder, wenn sie regieren, allen Wählern verpflichtet, dem ganzen Volk. Und die haben natürlich eine andere Konsequenz zu beachten als Aktivisten.

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Es ist in den letzten Monaten sehr viel passiert. Am 7. Oktober mussten Sie auch auf die Bühne gehen. Fällt Ihnen das manchmal schwer?

Schröder: Es sind Tage, wo man natürlich weiß, dass es besser ist, nichts zu sagen. Nicht, weil ich nichts sagen will oder weil ich mich drum drücke, sondern weil ich im Lauf der Zeit gelernt habe, dass große Ereignisse, die lange nachwirken, häufig auch einen Raum brauchen, bis man selbst Worte dafür findet. Früher habe ich mich verpflichtet gefühlt und dachte, dass ich jetzt etwas dazu sagen muss. Dann habe ich festgestellt, dass die Hälfte des Publikums noch gar nicht wusste, was passiert ist, weil die Leute, die um 20 Uhr bei mir sind, noch keine Nachrichten geguckt haben und eher überrascht von dem sind, was ich da erzähle und sich fragen, was davon stimmt und was nicht. Mit der Zeit habe ich gelernt, das Programm ganz normal zu spielen, im Zweifel nichts zu sagen, ein paar Tage abzuwarten und dann etwas Substanzielles zu sagen. Ich versuche mich, dieser Hektik des Meinens immer wieder zu entziehen.

Sind sie vorsichtiger geworden? Das meine ich nicht im Sinne der angeblichen Sprechverbote, sondern eher, dass man Sie missverstehen könnte.

Schröder: Da bin ich nicht vorsichtiger geworden, da habe ich keine Sorge. Ich bin vorsichtiger geworden hinsichtlich der Frage: Was sage ich, und wie sage ich es? Und wann ist der richtige Moment, etwas zu sagen? Der großartige Satz von Woody Allen: "Komik ist Tragik plus Zeit" - der gilt einfach. Es gibt auch Themen, die nicht lustig sind. Der 7. Oktober an sich ist nicht lustig, aber es ist sehr spannend, tragisch und dadurch auch wieder lustig, wie jetzt Teile der sogenannten progressiven, oder wie ich sie nenne: identitären Linken an Unis - Greta Thunberg und andere - mit diesem Ereignis umgehen. Man sieht viele Leute sehr schnell fallen, die man für einen großen Messias gehalten hat.

Wie hat sich die politische Kommunikation dieses Jahr zugespitzt oder verändert?

Schröder: Ich finde, dass es eine Zuspitzung innerhalb der Ampelkoalition gab. Das lag aber daran, dass Robert Habeck seine Rolle verloren und auch sein Talent für eine Weile vergessen hat und versucht hat, das Heizungsgesetz durchzuprügeln, egal was es kostet. Da hat man gemerkt, dass es innerhalb der Koalition eine gewisse Unruhe gibt, auch weil dem Kanzler die Führungsstärke fehlt. Darüber hinaus glaube ich, dass wir eine weitere Entgrenzung erlebt haben. Das kann man festmachen an solchen Äußerungen von Donald Trump, der sagt: "Ich wäre schon Diktator - aber nur für einen Tag." Dieser offene Flirt mit der Diktatur, und niemand schert sich drum, im Gegenteil, die Leute freuen sich darüber - das ist bei allen Unterschieden ein bisschen analog zu Aiwanger, der einfach sagen kann: "Das Flugblatt habe ich nicht produziert, das habe ich gar nicht verteilt, ich habe es nur aufbewahrt, es war für meinen Bruder." Dass er dafür bei einer Wahl mit zusätzlichen Prozentpunkten versorgt wird. Da zeigt sich doch ein gefestigtes, autoritäres, auch rechtsextremes Denken, selbst bei Leuten, die so jemanden wie Aiwanger wählen, weil es ihnen einfach egal ist. Die Überschrift dafür ist: 'Endlich sagt es mal einer und er wird ja wirklich von den Leuten fertig gemacht'.

Es kann Kabarettisten passieren, in so eine "Die-da-oben-Ecke" gesteckt und dann auch vereinnahmt zu werden. Ich glaube, der Kollege Volker Pispers hat unter anderem aus diesem Grund Schluss gemacht. Haben Sie manchmal Sorge, dass Sie so gedeutet werden könnten?

Schröder: Nein, die Sorge habe ich eigentlich nicht, weil meine Arbeit mindestens der großangelegte Versuch ist, genau diesem nicht zu verfallen. Ich versuche, mich dem "Die-da-oben-Kabarett" völlig zu entziehen, weil ich das auch verabscheue. Ich sehe nicht: die da oben, wir da unten - sondern ich versuche, die Welt ohne diese Hierarchien zu sehen. In dem Moment, in dem wir immer nur machtanalytisch denken und sagen: Da gibt es Leute, die haben Macht über uns, und wir sind dabei die Ohnmächtigen - lassen wir uns damit sehr viel an Blickwinkeln und an produktiven Ideen entgehen. Ich versuche immer, eher den Spieß umzudrehen und zu sagen: Hey, eigentlich bin ich ja der Teufel hier; ich bin doch auch das Arschloch, das wir alle sind. Dann bin ich ein Teil des Publikums, und dann ist es eine ganz andere Perspektive, die selbstbezüglicher ist und eben nicht auf die da oben schielt und sagt: Ihr seid schuld, dass es uns so schlecht geht.

Am Samstag wird man Sie beim WDR hören können, gemeinsam mit Peer Steinbrück. Wie schaut der auf die momentane Lage?

Schröder: Der guckt darauf mit dem Blick des früheren Finanzministers, der in der Sendung auch ganz spannende Ideen formuliert. Er sagt, man könnte doch zum Beispiel das ganze Geld, das der Staat durch die Erbschaftssteuer einnimmt, ausschließlich in Bildung investieren. Das finde ich tatsächlich einen spannenden Gedanken, weil das der Sektor ist, den wir am dringendsten brauchen und der gleichzeitig unterversorgt ist. Wenn ChatGPT die besseren Antworten auf Lehrermangel hat als die Kultusministerkonferenz, dann sollten wir uns fragen, wo es hinführt, wenn die natürliche Dummheit so weit fortgeschritten ist und die Künstliche Intelligenz uns dabei übertrifft.

Das ist ja eine total sozialdemokratische Idee - wie kommt er denn darauf?

Schröder: Keine Ahnung, was da los ist. Ich glaube, auf die alten Tage wird er dann noch mal zum Sozialdemokraten. Ich hätte nicht gedacht, dass es so weit noch kommt. Ich habe ihn immer für einen strammen Liberalen gehalten. Aber im Alter geht er irgendwie, entgegen seiner Lebensleistung, doch noch ein bisschen nach links. Aber gut, ich bin da auch ein bisschen milde dem Alter gegenüber und sage: Schön, wenn er jetzt noch einmal diese Ufer für sich entdecken kann.

Was war Ihr schönster Bundestagsmoment 2023?

Schröder: Als Friedrich Merz gesagt hat, dass wir die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt seien und Christian Lindner ihm Jorge González-mäßig die "3" hochgehalten hat - das war sehr lustig. Und als Merz sagte, Scholz sei der Klempner der Macht, da habe ich gedacht: Es ist ja schön, wenn man bildstark formuliert, aber die Bilder sollten auch ein kleines bisschen logisch sein. Und Provokationen um ihrer selbst Willen sind auch ein bisschen langweilig.

Das Interview führte Mischa Kreiskott.

Weitere Informationen
Kabarettist Florian Schröder. © NDR | Beba Lindhorst
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal Gespräch | 29.12.2023 | 16:15 Uhr

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