Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgericht, (l-r) Rhona Fetzer, Christine Langenfeld, Peter Müller, Doris König (Vorsitz), Sibylle Kessal-Wulf, Astrid Wallrabenstein und Thomas Offenloch, verkündet das Urteil in Sachen "Desiderius-Erasmus-Stiftung". © picture alliance/dpa | Uli Deck

Parteinahe Stiftungen, Geld vom Staat - und die AfD

Stand: 04.03.2023 09:00 Uhr

Die AfD hat vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einen Teilerfolg in Sachen Finanzierung von Parteien und ihren Stiftungen erzielt. Rechtsexperte Horst Meier erklärt die Hintergründe des Urteils.

von Horst Meier

Nicht selten wird ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gespannt erwartet. Kein Wunder, oft geht es dabei um Grundsätzliches von allgemeinem Interesse. So war es auch in der vergangenen Woche. Wer politisch neugierig ist, wollte wissen: Wie geht das aus? Wird die AfD sich durchsetzen können? Die Partei mochte nicht akzeptieren, dass die Desiderius-Erasmus-Stiftung, die sie 2018 als parteinahe Stiftung anerkannt hat, keine Gelder aus dem Bundeshaushalt bekommt, während sie sonstigen parteinahen Stiftungen in beträchtlicher Höhe zufließen. Die anderen Parteien argumentierten sinngemäß, man dürfe "Verfassungsfeinde" nicht mit Steuergeldern fördern. Dagegen zog die AfD nach Karlsruhe. Das Ergebnis ist ein Erfolg, jedenfalls ein Teilerfolg, für die AfD.

Verfassungsgericht fordert Gesetz zur Vergabe von Stiftungsgeldern

Horst Meier © imago
Rechtsexperte Horst Meier ist Autor und Jurist.

Ob nach Friedrich Ebert, Konrad Adenauer oder Friedrich Naumann benannt: Die Stiftungen, die der jeweiligen Partei nahestehen, bekommen aus dem Bundeshaushalt üppige Finanzmittel: 2019 immerhin 660 Millionen Euro. Sie organisieren damit politische Bildung, schulen den Parteinachwuchs und unterhalten Auslandsbüros. Einst zögerten die etablierten Parteien, die Heinrich Böll-Stiftung der Grünen und die Rosa Luxemburg-Stiftung der Linkspartei zu beteiligen. Inzwischen zählen diese selbst zu den Etablierten.

Und alle, von CSU bis Linkspartei, sind sich darin einig, die Stiftung der AfD vom Geldsegen auszuschließen: Die Agitation von "Verfassungsfeinden", ohnehin schon "unerträglich", dürfe nicht auch noch mit Steuergeldern belohnt werden. Es kam so, wie es kommen musste. Die AfD-Leute gingen nach Karlsruhe, klagten auf Gleichbehandlung und konnten vergangene Woche einen Teilerfolg erzielen. Das Verfassungsgericht urteilte, der Ausschluss von der Förderung - jedenfalls für das Jahr 2019 - verletze die Chancengleichheit der AfD. Und forderte ein besonderes Gesetz, das die Vergabe von Stiftungsgeldern künftig regelt.

Damit ist die Ausgrenzungsstrategie vorerst gescheitert, der sich die etablierten Parteien gegenüber der neuen parlamentarischen Rechten seit Jahren verschrieben haben. Im Bundeshaushalt wurde die AfD erst gar nicht gelistet, zu Stiftungsgesprächen nicht eingeladen, ihre Anträge auf Zuteilung von Fördergeldern wurden abgelehnt. Was da so unverblümt betrieben wurde, blieb den Verfassungsrichterinnen und -richtern natürlich nicht verborgen. Daher machten sie dem Spiel um die Stiftungsmillionen ein Ende, jedenfalls fürs Erste.

Freiheit der Opposition - ob rechte, linke oder sonstige Politik

Ihre Argumentation lässt sich so zusammenfassen: Nach dem Grundgesetz "wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes" mit. Ihre Gründung ist frei. Aus der Neutralitätspflicht des Staates folgt, dass er den Wettbewerb der Parteien nicht verzerren darf - also alles unterlassen muss, was eine Partei bevorzugt oder benachteiligt. Das gilt auch für die Zuwendung finanzieller Mittel. Die den Parteien nahestehenden Stiftungen sind zwar rechtlich und personell selbständig, doch der Umgang mit ihnen hat indirekt auch Auswirkungen auf den Wettbewerb der Parteien. "Die gegenwärtige staatliche Förderung parteinaher Stiftungen", erklärt das Gericht, "wirkt spürbar auf die politische Willensbildung ein und ist daher am Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien zu messen". Damit aber, folgern die Richter, ist ein "gleichheitswidriger Förderungsausschluss" nicht zu vereinbaren.

Das Gericht habe, so die Vorsitzende Richterin König bei der Urteilsverkündung, eine Entscheidung "in einem politisch sensiblen Bereich" getroffen. Das kann man wohl sagen. Denn mit der Chancengleichheit aller Parteien steht nicht weniger zur Debatte als die Freiheit der Opposition - einerlei, ob es sich dabei um rechte, linke oder sonstige Politik handeln mag. Gerade weil die Mehrheitsparteien gerne der Versuchung erliegen, die politische Konkurrenz, insbesondere unliebsame, provozierende Minderheiten zu benachteiligen, brauchen sie die Kontrolle durch ein Gericht, das solche Winkelzüge am Maßstab der Verfassung misst und notfalls korrigiert.

So weit, so gut. Aber, lautet der oft zu hörende Einwand, muss man dem Treiben der AfD nicht energisch entgegengetreten? Sie ist schließlich in Teilen fremdenfeindlich und antisemitisch, vertritt eine mitunter völkische Ideologie - und wird deswegen inzwischen in Gänze als extremistischer Verdachtsfall vom Verfassungsschutz beobachtet. Nun, es entbehrt nicht der Ironie, dass ausgerechnet jene, die dem Inlandsgeheimdienst - aus guten Gründen! - misstrauen, sich jetzt für ihn erwärmen, nur weil es mal gegen rechts geht.

Dürfen Spielregeln des Grundgesetzes zur Disposition gestellt werden?

Um aber Missverständnissen vorzubeugen, sei klargestellt: Ja, natürlich, gegen rechtspopulistische Tendenzen sollten Demokraten den robusten politischen Kampf führen. Die AfD ist, so sehe ich es, der politische Gegner. Aber ihre teils fragwürdige, teils gefährliche Politik ist das eine, das andere ist die Frage, ob die Spielregeln des Grundgesetzes zur Disposition gestellt werden dürfen. Abgesehen davon ist diese Trickserei ziemlich inkonsequent: Denn die AfD bekommt ja regelmäßig Wahlkampfkosten erstattet und ihre Fraktion im Bundestag erhält die üblichen Zuwendungen.

Jetzt "liegt der Ball im Feld des Gesetzgebers", erklärte die Vorsitzende Richterin König. Was bedeutet das für die Parlamentsmehrheit, die ein künftiges Stiftungsgesetz zu verabschieden hat? Das "wichtigste Ziel der Neuregelung kann nur eines sein", hieß es in der "Süddeutschen Zeitung": "Die (AfD-nahe Stiftung) muss von der Förderung ferngehalten werden." Das klingt so, als wolle man von den Urteilsgründen zur Chancengleichheit nichts wissen.

Was sich da forsch gibt im sogenannten "Kampf gegen rechts" ist, nüchtern betrachtet, eine traurige Schwundstufe demokratischen Bewusstseins. "Fair Play", das scheint für diese Gesinnungshuberei buchstäblich ein Fremdwort zu sein: "Staatsknete für uns, aber doch nicht für die!" Zum Glück gibt es noch Verfassungsrichter in Karlsruhe, die sich solchem Ansinnen in den Weg stellen - gibt es noch Richterinnen, die Parteienfreiheit und Gleichheit zu buchstabieren wissen.

Was ist die Aufgabe eines Stiftungsgesetzes?

Was also wäre, sachlich betrachtet, die Aufgabe eines Stiftungsgesetzes? Und welchen Gestaltungsspielraum hat das Parlament dabei? Im Urteil wird einerseits "strikt formale" Gleichheit gefordert. Andererseits werden ausnahmsweise Eingriffe in den Wettbewerb erlaubt, etwa zum Schutz der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung". Damit bezieht sich das Verfassungsgericht offenbar auf einen sogenannten "Haushaltsvermerk" für das Jahr 2022, über den es in einem weiteren Prozess erst noch gesondert verhandeln will. Dieser Vermerk besagt, Zuschüsse werden "nur politischen Stiftungen gewährt, die nach (…) ihrer gesamten Tätigkeit jederzeit die Gewähr bieten, dass sie sich zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (…) bekennen und für deren Erhaltung eintreten".

Könnte aber ein Stiftungsgesetz jene ausschließen, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen? Das ist mehr als fraglich. Denn das Grundgesetz, Artikel 21, kennt zwar demokratieverkürzende Ausnahmenormen wie das Parteiverbot und neuerdings auch den Ausschluss von staatlicher Finanzierung, mit denen die "Grundordnung" notfalls geschützt werden soll. Aber für beide Fälle bestimmt das Grundgesetz kategorisch: "Über die Frage der Verfassungswidrigkeit sowie über den Ausschluss entscheidet das Bundesverfassungsgericht." Dieses sogenannte "Entscheidungsmonopol" ist eine verfahrensbezogene formale Sicherung, sie soll unbequeme Opposition vor eifernder Verfolgung schützen. Daher stellte das Verfassungsgericht schon vor Jahr und Tag klar, dass niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei "rechtlich geltend machen" könne, bevor darüber nicht höchstrichterlich entschieden wurde.

Daraus aber folgt für den Ausschluss von staatlicher Finanzierung: Wegen der nahezu deckungsgleichen "verfassungswidrigen" Ziele von Partei und Stiftung darf die Schutzwirkung einer Entscheidung, die dem Verfassungsgericht vorbehalten ist, nicht auf die betreffende Partei begrenzt werden. Sie muss vielmehr auch die parteinahe Stiftung umfassen. Denn die mangelnde Verfassungstreue, die man der Stiftung vorwirft, ist in der Sache genau dieselbe, die man der betreffenden Partei ankreidet.

Geisteshaltung der Mehrheit zeigt sich im Umgang mit der Minderheit

Angesichts dieser programmatischen Identität wäre es lebensfremd, auf die rein formale Trennung von Stiftung und Partei abzustellen. Das aber bedeutet für ein Stiftungsgesetz: Das Parlament darf gar nicht darüber befinden, ob eine parteinahe Stiftung gegen die "freiheitliche demokratische Grundordnung" polemisiert und deshalb kein Fördergeld bekommt - es sei denn, die betreffende stiftungsnahe Partei wäre zuvor durch das Verfassungsgericht von der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen worden.

Das skizzierte Verhältnis von Stiftung und Partei ist keine graue Theorie. Man muss sich nur klarmachen, welche Folgen es hätte, die "Frage der Verfassungswidrigkeit" einer regierenden Parlamentsmehrheit zu überantworten. Es liefe darauf hinaus, dem Verfassungsschutz, der vom Innenminister beaufsichtigt wird, die Definitionsmacht darüber zu geben, welche Stiftung Staatsgelder erhält und welche nicht. Demokraten sollen die Politik der AfD tüchtig bekämpfen, sie sollten sich aber vor dieser fatalen Konsequenz hüten. Ist eigentlich schon vergessen, dass auch die Linkspartei bis 2011 als "extremistisch" galt und Teile der Partei bis heute im Bericht des Verfassungsschutzes stigmatisiert werden?

Wie sie mit Minderheiten umgeht, sagt viel über die Geisteshaltung der Mehrheit. Rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien müssen gerade dort verteidigt werden, wo sie als "gute Rechte schlechter Leute" manchen "unerträglich" erscheinen. Das gilt auch für ein künftiges Stiftungsgesetz. Am Ende kommt alles darauf an, den Prozess der politischen Willensbildung offenzuhalten. "Aufgabe staatlicher Finanzierung politischer Stiftungen kann es nicht sein", betont das Gericht, "einen Beitrag zur Versteinerung des bestehenden Parteiensystems zu leisten und die Entstehung oder Verstetigung neuer politischer Strömungen zu verhindern". Das kann man sich merken.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Gedanken zur Zeit | 04.03.2023 | 13:00 Uhr

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