Medien in Russland: Aus für Kreml-kritische Zeitung "Nowaja Gaseta"
Mit der "Nowaja Gaseta" hat eines der letzten verbliebenen unabhängigen Medien in Russland das Erscheinen eingestellt. Zunächst nur bis "zum Ende der 'Spezialoperation auf dem Gebiet der Ukraine'".
War es das endgültig mit der unabhängigen Berichterstattung in Russland? Ein Gespräch mit Mandy Ganske-Zapf, Redakteurin der Internet-Plattform dekoder.org über "Echo Moskwy", "Nowaja Gaseta", den Fernsehsender "Doschd", über die Bedeutung von Exilmedien und über den verbleibenden Zugang zum Internet und zu Sozialen Medien wie Telegram in Russland.
Frau Ganske-Zapf, was bedeutet dieser Stopp der "Nowaja Gaseta"? Ist das wirklich nur eine Pause für den unabhängigen Journalismus in Russland - oder doch das Ende?
Mandy Ganske-Zapf: Es ist schwer zu sagen, was das langfristig für Auswirkungen haben wird, bezogen auf die "Nowaja Gaseta", die explizit betont, vorerst aufzuhören. Wenn man sich die Entwicklung seit Kriegsbeginn anschaut, muss man traurigerweise feststellen, dass bei dem Ringen zwischen dieser kleinen, widerspenstigen Medienszene, zu der die "Novaya Gaseta" gehört, und dem Staat die Leuchttürme in der Nische des unabhängigen Journalismus in Russland unter der schweren Last der Repressionen und des Drucks, der aufgebaut wurde, aufgeben mussten.
Sie beschreiben das als eine kleine Nische. Was macht es dann so gefährlich, dass so ein großer Apparat wie der Kreml davor erzittert?
Ganske-Zapf: Im Moment versucht die russische Führung in diesem Krieg gegen die Ukraine den Informationsraum zu kontrollieren und seine Deutungsmacht darin zu verteidigen. Das ist vor dem Hintergrund dessen, dass man im Land Zustimmung für den Krieg in der Ukraine erzeugen möchte und auf den Staatskanälen mit der entsprechenden Propaganda aufwartet, aus Warte der russischen Führung offensichtlich zu einer Priorität geworden. Nischen, wie es sie bisher gab, soll es offensichtlich nicht mehr geben - egal, ob das eine besonders große Reichweite unter der russischen Bevölkerung erfährt oder nicht. Allein diese Chance scheint schon zu viel zu sein.
Welche Möglichkeit bleibt der russischen Bevölkerung noch, sich unabhängig zu informieren?
Ganske-Zapf: Die Entwicklung ist im Moment sehr im Fluss. Auch ein wichtiger Sender, der aufgehört hat, war "Echo Moskwy", den es mehr als 30 Jahre gab. Auch der kleine Fernsehsender "Doschd" hat aufgegeben. Aber die Menschen, die hinter diesen Medien standen, gibt es immer noch, und die müssen sich jetzt privat und beruflich neu orientieren.
Bis zu 150 Journalistinnen und Journalisten haben das Land verlassen, einige sind im Land geblieben, und viele suchen sich jetzt ihre Nischen auf YouTube, auf Telegram, aber auch in Newsletter-Formaten, wo man sich versucht, eine Abonnentenschafft neu aufzubauen. Man kann sehen, wie bestimmte Formate, zum Beispiel "Echo Moskwy", auf YouTube regelrecht neu belebt werden, um zu versuchen, mit dem Publikum in Kontakt zu bleiben.
Wie viel Internet ist in Russland überhaupt möglich? Bestimmte Plattformen sind ja schon gesperrt.
Ganske-Zapf: Im Moment ist es so, dass das Internet, was bisher noch eine gute Nische war, extrem unter Beschuss ist. Facebook ist geblockt - der Konzern wurde als extremistisch eingestuft. Instagram wurde geblockt, Twitter ist auch nicht mehr zugänglich. Das sind schwere Schläge für die Internetnutzerinnen und -nutzer, die in Russland dort ihre Informationen proaktiv suchen, die es sich außerhalb des alles dominierenden Staatsfernsehens erhalten wollen, sich unabhängig zu informieren.
Aber es gibt noch die Möglichkeiten, zum Beispiel YouTube anzusteuern oder auch das Netzwerk Telegram zu nutzen, was zu Pawel Durow gehört, der im Ausland sitzt und es bisher technisch geschafft hat, sich den Zensurbemühungen der russischen Führung zu entziehen. Deswegen flüchten sich viele Nutzerinnen und Nutzer zum Beispiel zu Telegram, auch wenn man nicht genau weiß, ob Durow es auf Dauer wirklich schafft, Widerstand zu leisten. Auf solchen Nischen-Inseln bewegen sich jetzt noch diejenigen, die versuchen, sich zu informieren.
Wie machen Sie es bei "dekoder.org"? Sie sind zuletzt diejenigen gewesen, die von diesen unabhängigen Medien noch etwas ins Deutsche übertragen haben, sodass diese Medien hier auch wahrnehmbar waren. Wenn es die nun nicht mehr gibt, schweigen Sie dann auch still?
Ganske-Zapf: Nein, natürlich nicht. Viele Leuchttürme haben dichtgemacht oder setzen ihre Arbeit aus, aber es ist schon noch so, dass etwas geschrieben wird in Russland. Das sind kleine Plattformen, die im Schatten dieses Informationsschlachtfelds, was sich um sie herum auftürmt, trotzdem versuchen, irgendwie weiterzumachen und zum Beispiel über Entwicklungen in Russland zu berichten.
Zum anderen schauen wir natürlich auf das, was auf Social Media passiert. Wir übersetzen auch Social Media-Posts aus Facebook oder Telegram, die zum Teil jetzt immer länger werden. Was man auch nicht vergessen darf: Aus dem Exil heraus entsteht jetzt auch sehr viel, die Bedeutung von Exilmedien wird noch einmal zunehmen. "Meduza" zum Beispiel versuchen sehr fundiert, den Blick im Land aufrechtzuerhalten.
Das Interview führte Jürgen Deppe.